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specials.
Bericht über die Lesung von Håkan Nesser
© by Carmen Steiner
Diesen Mann kenne ich doch, denke ich und bleibe abrupt
stehen. Håkan
Nesser lächelt mir von einem Plakat entgegen. Sollte aus meinem
alltäglichen Abend doch noch ein Highlight werden?
Mit wachsender Begeisterung lese ich die Bildunterschrift:
Håkan Nesser " Der Tote am Strand"
Lesung in schwedischer und deutscher Sprache
Montag, 28. Oktober 2002
Beginn 20:30 Uhr "
... ein ganz gewöhnlicher Toter", kreischt Leonhard Lanzigs
Stimme aus dem Lautsprecher. Ich schrecke zusammen. Genau wie die Frau
neben mir, deren Ellenbogen sich kurz in meine Seite rammt. Dann Gelächter.
Da hat doch die marode Lautsprecheranlage der kleinen Buchhandlung,
genau an der Stelle wieder ihre Tätigkeit aufgenommen, an der
der Titelheld von Håkan Nessers Roman ins Geschehen tritt, nämlich "Der
Tote vom Strand".
Herr Nesser, legier gekleidet in schwarzer Jeans und schwarzem Pullover
lächelt. Was denkt er wohl? Nimmt er an, die Hanseaten hätten
einen etwas schrägen Humor? Da buddeln der sechsjährige Henning
und der vierjährige Fingal am Strand von Lejnice eine Leiche aus
und das bringt die Hamburger zum Lachen. Nein, denkt er nicht. Er setzt
sogar noch einen drauf und reißt einen Scherz. In Englisch, denn
nur wenige der achtzig Anwesenden versteht schwedisch.
Eigentlich hätte der Herr Lehrer auch Schauspieler werden können, überlege
ich und beobachte das Mienenspiel des sympathischen Zweiundfünfzigjährigen.
Aber hätte es dann je einen Kommissar Namens Van Veeteren gegeben?
Vielleicht nicht ... also ist es doch gut, das er die Schauspielerei
Menschen wie Leonhard Lanzig überlässt und sich dafür
ganz dem schriftstellerischen Handwerk widmet. Der Beifall beweist,
dass er davon etwas versteht.
Das stille Sitzen auf den provisorisch
aufgeklappten Holzstühlen
hat ein Ende. Es dürften Fragen gestellt werden. Gerne in Deutsch
oder jeder anderen Sprache. Der Autor zwinkert seinen aufmerksamen
Besuchern zu ... vielleicht aber besser nicht in Chinesisch, da er
sonst die Antwort erst am nächsten Tag liefern könne. Wieder
ausgelassenes Gelächter, dann verlegene Blicke der Anwesenden
auf das Bücherregal, das hinter dem Schriftsteller aufragt. Wie
in der Schule denke ich und strecke meinen Finger in die Höhe,
aber einer der wenigen Bartträger kommt mir zuvor: "
Sind ihre Geschichten vor dem Schreiben komplett entwickelt oder schreiben
sie einfach drauf los und lassen es so aus sich herausfließen?"
Hakan Nesser lächelt und antwortet in Englisch: "Gerne würde
ich sagen, es fließe nur so aus meinem Kopf, aber so ist es nicht." Er
macht eine kurze Pause und die senkrechten Stirnfalten über seiner
Nasenwurzel werden etwas tiefer. "Der Plot steht immer komplett,
bevor ich mit dem Schreiben beginne. Anders geht es bei einem Krimi
nicht. Es kann aber durchaus passieren, dass sich einzelne Szenen während
des Schreibens verändern. Das ist aber eher selten."
Eine Landsmännin erkundigt sich, warum er seine Geschichten in
einem fiktiven Land spielen lässt? Eine gute Frage meint Herr
Nesser und überlegt einen Moment. Bei den meisten schwedischen
Autoren, sagt er, spielten die Krimis auch in Schweden, und genau das
wollte er vermeiden. Es sei ihm sehr wichtig, dass der Leser sich den
Ort des Geschehens selber ausmalen könne. Fantasie sei doch etwas
sehr Schönes, daher gäbe es eben das Nesserland. Selbstverständlich
bringe er aber seine persönlichen Reiseeindrücke mit ein.
Bald sind alle Fragen beantwortet und die Bitte auf eine weitere Rezitation
wird laut. Håkan Nesser entscheidet sich für das Buch: Der
unglückliche Mörder
Ich kenne das Buch. Verstehe aber kein Wort und so lausche ich einfach
dem bizarren Klang der schwedischen Sprache, bis die geschäftstüchtige
Ladeninhaberin in meine Urlaubserinnerungen platzt. Alle Werke des
Autors können sofort für die folgende Signierrunde erstanden
werden. Stühle werden gerückt. Ich ziehe den aktuellen Roman
aus meiner Tasche und stelle mich vor den Tisch, hinter dem sich der
Schwede niedergelassen hat. Ob denn Van Veeteren noch einmal einen
Fall lösen würde, fragt, eine junge Frau den Autor und schiebt
ihm ein Taschenbuch entgegen. Håkan Nesser grinst breit. "
Auf diese Frage kann ich nicht antworten. Ich möchte doch das
sie auch noch die beiden folgenden Bände lesen."
Das Blitzlichtgewitter eines Fotografen unterbricht die interessante
Szene. Ich bin an der Reihe. Eben waren da doch noch so viele Fragen
in meinem Kopf. Wo sind sie hin? Ich sage meinen Namen, sonst nichts.
Schon plappert die Frau hinter mir in Nessers Landessprache auf den
Autor ein. Für einen Moment fühle ich mich als Fremde in
meiner eigenen Stadt. Der Eindruck wird nicht besser als ich zehn Minuten
später die Buchhandlung verlasse. Es regnet und stürmt. Hamburg
zeigt sein skandinavisches Gesicht. Wie passend, denke ich und gehe
nach diesem nicht alltäglichen Abend gut gelaunt nach Hause.
(Englische
Passagen sind sinngemaess uebersetzt.) |
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