|
|
|
|
Abenteuer
Erdbeeren pflücken -
Eine wahre Geschichte
© by Sandra Kuhn 2002
Es ist Juni, nicht mehr lang und es ist wieder
Sommer. Im Großen
und Ganzen, eine der wohl schönsten Jahreszeiten. Warmes Wetter,
wenig Regen, Sonnenschein pur. Und es ist auch die Zeit der Obsternte.
Wenn wir an den Obstständen vorüber gehen, liegen bereits in
Massen die kleinen Schälchen mit den rötlichen Erdbeeren aneinander
gereiht. Für den Genießer sind dies Früchte, die wie Erdbeeren
aussehen, jedoch nicht wie diese schmecken. Ich denke mir, dass zum Glück
in meinem Garten viele Pflanzen dieser Gattungsart heranwachsen.
Ich erinnere mich mit Genuss an diese dunkelroten, süßlichen
Früchte.
Nun endlich ist es so weit, ich stehe vor dem Gartenbeet. Hier
und da sehe ich bereits rötlich verfärbte Früchte. Oh,
nicht mehr lange.
Vorfreude steigt auf, mir läuft das Wasser im Mund, durch den bloßen
Gedanken daran. Jetzt heißt es aller zwei Tage pflücken was
das Zeug hält.
Im Innersten bereite ich mich schon selig darauf vor, dass diese
kleinen Krabbeltierchen, Spinnen genannt, sich unter den Blättern
verstecken und Schnecken sich an meinen Erdbeeren gütlich fressen.
Aber es hilft nichts, wer essen will, der muss auch ernten.
Es ist Donnerstag, es regnet. Ich weigere mich strikt zu ernten.
Nein, nein, sage ich, nicht bei Regen. Dann tummeln sich diese
ekligen, kriechenden braunen Viecher, manche nennen sie auch Schnecken,
in Scharen
auf dem Beet als wollten sie alle einen Ausflug machen. Manchmal
glaube ich, diese Tierchen mampfen auf dem Rücken liegend unter diesen schönen
roten Früchten und veranstalten ein richtiges "Fressgelagere".
Na gut, Papi pflückt und ich atme beruhigt aus und denke, Gott sei
dank!
Der eine Tag rückt immer näher, Samstag, ich bin zum pflücken
degradiert worden. Während Papi auf der Arbeit schuftet - man sollte
es zumindest annehmen - und Mami auch nicht da sein wird, bleibt die Arbeit
an mir hängen. Prima. Na wird schon nicht so schlimm werden.
Samstag, der gefürchtete Tag. Er beginnt früh. Ich mache die
Augen auf und horche, höre aber nichts. Vielleicht habe ich Glück.
Ich tapse barfuss zum Fenster, drücke mit einem Finger ganz vorsichtig
eine Lamelle der Jalousie herunter und kneife die Augen zusammen um durch
die Gardine spähen zu können.
Oh nein, es regnet. Nein, es gießt. Scheiße, denke ich. Dieses
Mal gibt es kein flüchten, kein beruhigendes Ausatmen. Ich muss,
ob ich will oder nicht. Tief durchatmen, du schaffst das, du schaffst
das! Erst einmal frühstücken. Ich lasse mir Zeit, vielleicht
hört es in der Zwischenzeit auf zu regnen.
Es ist kurz vor zehn. Jetzt muss ich aber. Diese von allen geliebte
Erdbeertorte, darf ich auch noch machen. Doch vorher sollte ich
wohl pflücken,
denn ohne Belag keine Torte.
Ich rufe Papi an. Haben wir nicht noch irgendwo einen Regenmantel?
Jaja, in dem einen Schrank, auf dem Gang ganz hinten rechts. Mhh, denke
ich, dass kann ja was werden.
Die Suche beginnt.
Da ist nichts, da auch nicht. In dem nächsten Fach ist kein durchkommen.
Zum Nächsten. Ah, da sehe ich etwas Graues und lilafarbenes leuchten.
Instinktiv greife ich zum bunteren. Knöpfe es auf, ziehe es an und
nichts wie hin zum Spiegel. Oh Gott, das sieht ja verschärft aus,
denke ich. Dazu gibt es auch noch eine Kapuze. Gesagt, getan und aufgesetzt.
Jetzt kann ich den Lachanfall nicht mehr unterdrücken. So gehe ich
niemals Erdbeeren pflücken! Niemals! Kapuze wieder abgesetzt. Da
riskiere ich doch lieber nasse Haare als dieses Ding aufzusetzen.
Aber Moment, in dem Schrank liegt ja noch der Graue, Papas Regenmantel.
Vielleicht sieht der besser aus? Doch da irrte ich mich gewaltig.
Erst einmal mindestens vier Nummern zu groß. Da wird man auch mit Mantel
nass! Und dann die bedeutende Frage. Wie um Himmels Willen kriegt er seinen
Kopf in diese Kapuze? Ich entscheide mich doch für den lilafarbenen.
Mit dem Regenmantel und dem Korb in der Hand flitze ich hinüber zum
Waschhaus. Puh, die ersten Regentropfen abgekriegt, dass kann
ja heiter werden.
Was macht man, wenn einem ein schlammiges Abenteuer bevorsteht,
im eigenen Schrank aber nicht das richtige Schuhwerk findet?
Man zieht Papis riesengroße Gummistiefel an, die trotzen jedem Wetter!
Wenn auch etwas unmodisch sind sie doch in manchen Situationen
des Lebens ganz sinnvoll.
Ich danke dem genialen Menschen, der diese globigen Dinger erfunden
hat!
Okay, so weit so gut. Jetzt stehe ich also im Waschhaus; Papis
Gummistiefel an den Füßen, die Beine der grauen Jogginghose
hineingesteckt, und darüber diesen durchscheinenden lilafarbenen
Regenmantel.
Ich renne zum Schuppen, in dem ich hoffe diese gelben Gummihandschuhe
zu finden.
Ja, da liegen sie. Zum Glück!
Dann kommen also zu den Stiefeln, der Jogginghose und dem Regenmantel
noch diese quietschegelben Handschuhe hinzu.
Oh mein Gott, denke ich, was für einen Anblick muss ich abgeben.
Ich laufe bis zum letzten Baum, hinter dem ich mich verstecken
kann; da ist das Beet. Es liegt auf einem kleinen Berg, der in
einen leichten Abhang übergeht, dann kommt die Straße, genau vor dem Abhang.
Jeder der da also entlang fährt, sieht mich in meinen Gummistiefeln,
der grauen Jogginghose, dem lila Regenmantel und den gelben Gummihandschuhen.
Oh nein, ich will nicht, denke ich. Doch dann atme ich einmal
tief durch und renne mutig zum Beet hinüber.
So weit so gut. Sechs Reihen, davon zwei Zweijährige, zwei Einjährige
und zwei neue Pflanzenreihen. Wo also anfangen? Zuerst das Einfachste,
die neuen Pflänzchen. Da muss ich nicht mal die einzelnen Blätter
absuchen um die roten Erdbeeren zu sehen.
Bei jedem Schritt gucke ich genau wo ich hintrete, nicht das
ich meine Füße auf eines dieser Viecher setze. Ein kalter Schauer
läuft mir über den Rücken, wenn ich nur an diese Tierchen
denke, die es so gut verstehen sich auf dem Rutscheligen Schlamm
zu tarnen!
Puh, die ersten zwei Reihen sind schnell geschafft. Langsam merke
ich wie meine Jogginghose nass an meinen Beinen klebt. Ich mache
ich mich über
die nächsten Reihen her. Das Wasser läuft mir bereits ins Gesicht,
vielleicht wäre eine Kapuze doch nicht schlecht gewesen, aber sich
so peinlich outen? Was sollen denn die Nachbarn denken?
Bereits den Anblick einiger Häuselschnecken überwunden, entdecke
ich zwei parallel reisende Tierchen auf dem Weg zur nächsten Frucht.
Na, euch werd ich's zeigen, denke ich, und mopse ihnen das leckere
Mahl. Hihi, denke ich, ausgetrickst.
Doch die Erdbeeren machen es mir auch nicht leicht. Sie versuchen
mich hinterlistig zu täuschen und zeigen nur ihre schönste Seite.
Aber nicht mit mir. Ich drehe sie ganz vorsichtig um und sehe, dass manche
noch ganz weiß sind. Am liebsten würde ich ihnen die Zunge
rausstrecken, aber wenn das jemand sehen würde, wie peinlich, dann
glauben die Leute vielleicht, ich rede schon mit Erdbeeren.
Nebenbei singe ich das Kinderlied: "Es regnet, es regnet die Erde
wird nass". Das alleine ist schon peinlich genug, zumal ich schon
tropfnass bin!
Du meine Güte, denke ich, jetzt kommt das Schlimmste, die alten Pflanzen.
Dreißig Zentimeter buschähnliche Blätter, mit einer Menge
Unkraut dazwischen. Finde da mal eine Erdbeere, da braucht man drei Hände!
Da ist eine schöne große und ganz tiefrot. Doch was hängt
da dran? Ein Aufschrei. Igitt! Eine Schnecke. Hoffentlich hat mich niemand
schreien gehört. Geduckt sehe ich mich um. Sieht nicht so aus. Puh!
Wie kriegt man also die Schnecke von der Erdbeere ab, ohne sie
anzufassen? Meine Erdbeere, gib sie her, sage ich zu dem Viech,
doch es hilft nichts. Ich gucke mich um und entdecke einen kleinen Busch.
Ich
gehe hin und streife dieses Ding mit dessen Zweigen ab. Hähä,
schon wieder ausgetrickst.
So, der letzte Meter.
Ich habe es geschafft, ich stehe auf dem Rasen vor dem Beet und
betrachte meine Arbeit.
Plötzlich bricht, wie aus dem Nichts, ein Regenschauer über
mich herein. Ich stehe da, wie ein begossener Pudel, und denke
insgeheim, na prima, das fehlte noch! |
|
|
|
|
|
zurück |
|
|
|