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Freitag,
der Dreizehnte
© by Sandra Kuhn
(wird demnächst überarbeitet)
Alles begann an einem Freitag,
dem Dreizehnten. An solch einem Tag sollte man einfach keine Entscheidungen
treffen. Sie liebte
ihr Leben so wie es war, einfach, ohne viel Glamour und Bekanntheit.
Sie war jung, blutjung und wollte einmal groß hinaus, so
wie sie es von ihren Vorbildern kannte. Wollte einmal eine berühmte
Schriftstellerin werden. Mit besonders großem Eifer verschlang
sie jegliche Literatur, die sich ihr in den Weg stellte, ob von
berühmten Meistern oder NoNames der Gesellschaft. Alles
liebte sie. Wie sich die Gedanken und Gefühle des jeden
in wohl gekleidete Worte hüllten, wie sie in ein Ganzes
verschmolzen. Ja, auch sie wollte einmal solch wundervolle bezaubernde
Worte schreiben, wollte ihre Gedanken öffnen und ihre Gefühle
für alle sichtbar machen. Ihr kam es nicht auf das Geld
an, daß man mit diesen Werken machen konnte oder auch nicht,
nein, sie war zu etwas höherem bestimmt. Ja, sie wollte
einmal neben dem Namen von Shakespeare oder Goethe genannt werden
als eine der größten Schriftsteller der Geschichte.
Doch wie um Himmels Willen sollte sie das erreichen? Das könnte
Jahre, sogar Jahrzehnte dauern. Nein, solange wollte sie auf
gar keinen Fall warten. Nein, das dauerte ihr viel zu lange.
Besser wäre es in einem Jahr oder vielleicht auch zwei im
Höchstfall jedoch in drei Jahren. Ja, genauso sollte es
sein. Das nahm sie sich fest vor und behielt ihren Weg verbissen
vor den Augen. Kein Mann sollte ihr dabei in die Quere kommen,
das waren nur unwichtige Gefühlsduseleien, die einem nichts
weiter brachten als ein gebrochenes Herz. Ja, sie wußte
das genau. So folgte ein Tag dem anderen. Ein Sonnenuntergang
folgte dem nächsten. Jeden Tag stand sie vor dem kleinen
Fenster, sah in die klare Morgenluft hinaus, als wäre es
das Paradies und mußte sich zwingen ihren alltäglich
Dingen nach zu gehen. Mit irgendetwas mußte sie doch Geld
verdienen. Was sollte sie denn sonst machen? Doch ganz still
und unbemerkt schottete sie sich immer mehr von der Gesellschaft
ab, vernachläßigte Freunde, reagierte nicht mehr auf
Anrufe. Vergaß ihre Familie. Nach und nach war sie allein
in der großen Welt, die ihr noch unergründlich jeden
Morgen ihre Phantasien schenkte. Phantasien, die sie liebte,
denn sie kleidete sie in jene bezaubernden Worte, die einen mitreißen
konnten, wenn man sich ihnen öffnete. Ja, sie hatte das
Zeug dazu. Doch sie war sich nicht sicher. Stapel von fertigen
und unvollendeten Manuskripten türmten sich auf ihrem Schreibtisch,
auf den Schränken, sogar auf dem Boden verstreut lagen sie.
Doch mit keinem Gedanken oder gar Blick würdigte sie diese.
Nein, das war alles nicht das Richtige. Die großen Meister
brachten viel Genialeres zustande, hüllten ihre Worte in
noch mehr Feinheit, in noch mehr Tiefe. Sie war sich sicher eine
völlige Versagerin zu sein. Ja, das war sie, sie schaffte
es einfach nicht etwas Großes zustande zu bringen. Warum
nur? Öffnete sie sich nicht genug? War sie noch immer zu
zaghaft ihre Phantasien ohne jede Bedenken nieder zu schreiben
mit diesem vollkommenen schönen Füller in ihrer Hand,
der sie nur so über die Blätter fliegen ließ?
Nein, das konnte es nicht sein. Das war es einfach nicht. Sie
hörte von anderen, in beiläufigen Diskussionen an denen
sie nie teilnahm, daß sich so mancher blockiert fühlte.
Blockiert von dem vielen Streß, der Arbeit und der Familie.
Das kannte sie nicht. Nein, sie war nie blockiert. Welcher Bedeutung
wohnte dieses Wort wohl inne? Blockiert. Das hatte es für
sie nie gegeben. Jeden Morgen stand sie da am Fenster, sah hinaus
und erblickte doch eigentlich nichts. Nur in ihrem Kopf wirbelten
sich verstrickte Phantasien zu einem Ganzen zusammen und jeden
Morgen wußte sie wieder etwas Neues, das sie vielleicht
endlich zu ihrem Ruhm brachte, nach dem sie sich schon so lange
sehnte. Es verging ein halbes Jahr, ohne das sie aufgehört
hatte zu schreiben, zu phantasieren. An jenem Freitag, dem Dreizehnten
sollte sich ihr Leben für immer ändern. Ja, das sollte
es, doch sie ahnte nichts von alle dem. Dachte es wäre ihr
göttlicher Plan einmal eine Meisterin des Wortes zu sein
und den Menschen zu zeigen, daß es nicht vielem Geld bedurfte,
daß man sich nicht gegenseitig abschlachten mußte
um dieses große Ziel zu erreichen. Ja, das war es was sie
wollte. Doch dieser verhängnisvolle Tag rückte näher,
Stück für Stück, und dann war er auf einmal angebrochen,
kein Vorzeichen von dem, was kommen mochte. Wie gewöhnlich
stand sie vor dem Fenster, schaute ins Nichts. Doch ihr Blick
erhaschte eine Gestalt. Dunkel und geheimnisvoll, wie sie sich
durch das Getümmel drängte, in einer dunklen Gasse
verschwand in der nichts war als hohe Mauern, ohne ein Entkommen.
Doch sie verschwand einfach und blieb fort. Was mochte das gewesen
sein? Die Neugier, die sie schon vor so langer Zeit versucht
hatte abzulegen, stieg in ihr auf. Ja, sie wollte wissen wer
der Fremde war. Oder was er war. Rasch und eilig zog sie sich
den dicken Wollmantel über, versteckte ihr langes pechschwarzes
Haar unter der schwarzen Wollmütze und verließ ihre
schützende Wohnung. Auf der Straße, nach endlos langen
Treppenabgängen, Stufen die einfach nicht enden wollten,
angekommen stieg ihr die kalte, vom Autoabgas der Fahrzeuge,
verräucherte Luft in die Nase. Sie roch den süßlichen
Duft von frisch gebackenem Brot und sog ihn mit geschlossenen
Augen tief ein. Was mochte es wundervolleres geben als dieses
Leben? Sie überwand die Straße auf der sie den einzelnen
Autos ausweichen und die Fußgänger umrunden mußte.
Angekommen in der besagten Gasse, die noch immer dunkel und unheilvoll
da lag, drehte sie sich noch einmal der anderen Seite zu. Sollte
sie es wirklich wagen? Sollte sie in diesem Fall ihrer doch grenzenlosen
Neugier nachgehen oder konnte es vielleicht ein Fehler sein?
Kritisch betrachtete sie die Gasse. An den Seiten standen geparkte
Autos, Müllcontainer und Pappschachteln stapelten sich zwischen
ihnen. Eine Katze, ebenso schwarz, huschte über die, von
Pfützen zerfurchte, Pflasterstraße. Sie mußte
dieser geheimnisvollen Gestalt auf den Grund gehen. Das mußte
sie! Interessiert betrachtete sie jede einzelne Stelle der Wände,
doch nirgends war ein Spalt durch den man hätte schlüpfen
können. Sie sah hinauf zu ihrem Fenster. Ja, sie konnte
es sehen und sie wußte, daß sie auch das Ende der
schmalen Gasse von diesem Fenster aus hatte sehen können,
doch diese dunkle Gestalt hatte jene nicht verlassen. Nein, er
war hier, vielleicht hier, wo sie jetzt stand verschwunden. Einfach
so. Ohne nachzudenken formten ihre Lippen jenen Satz. "Ich
rufe dich!" Ein verhängnisvoller Satz. Denn auf einmal,
wie auf Befehl, erschien jene vermeintliche Gestalt vor ihr auf
der Pflasterstraße. Der Umhang verhüllte sein Gesicht,
dennoch erkannte sie, daß es ein Mann von jungendlichem
Alter, mit ernstem, fast boshaftem, Gesicht war. "Du hast
mich gerufen. So sprich, was wünschst du?" Er griff
nach seiner Kapuze und streifte sie nach hinten ab. Sein lockiges
blondes Haar fiel darunter hervor. Oh Gott, dachte sie, das ist
ja fast noch ein Kind! "Wer bist du?" fragte sie zaghaft
flüsternd.
"
Mann nennt mich Quentolah, der Geist der unerfüllten Sehnsüchte".
Ihre Augen weiteten sich und sie seufzte leise. "Was befiehlst
du mir?" fragte er nochmals, nun fordernder.
"
Ich... ich weiß nicht. Was sollte ich dir denn befehlen?" fragte
sie noch immer mit furchtsamer und zurückhaltender Stimme.
"
Was du wünschst, das erfülle ich!"
"
Was ich wünsche? Kannst du mich zu einer vollkommenen Schriftstellerin
machen? Kannst du das?", fragte sie bettelnd.
" So sei es."
Sollte sie jetzt irgendetwas spüren? Sollte sich jetzt etwas
verändert haben? Sie lachte, nein, das konnte unmöglich
wahr sein, der Junge veralberte sie nur.
"
Das war eine gute Täuschung", sagte sie jetzt mit fester
Stimme.
"
Ich habe dir deinen Wunsch erfüllt, nun erfülle meine
Forderung!", sagte der blondhaarige Junge jedoch mit eiserner
Stimme.
" Da mache ich nicht mehr mit. Das ist mir jetzt nicht mehr geheuer."
"
Du sollst nach zehn Jahren deines Lebens als vollkommene Schriftstellerin
in meine Dienste übergehen. Sollst mir gehorchen, sonst wird
der Tod dich strafen!" Ihr Lachen war verflogen. War es diesem
Jüngling wirklich ernst damit? Nein, das konnte nicht sein.
"
Was verlangst du? Ich soll deine Dienerin, deine Sklavin sein?",
in ihrer Stimm klang Hochmut.
" So soll es sein!"
"
Na gut.", sagte sie spöttisch. "Wenn du es so verlangst,
so sei es!" Der Jüngling verschwand, ebenso in das Nichts,
aus dem er gekommen war. Sie dachte es wäre ein Schabernack
eines vierzehnjährigen Jungen mit dem wallenden blonden Haar
eines Engels gewesen. Doch sie sollte sich in ihrer Meinung irren.
Sie betrat ihre Wohnung, sie kam ihr merkwürdig vor. Viel
kleiner als sonst. Nur beiläufig betrachtete sie sich in dem
Spiegel des Vorsaals. Ein Schrei huschte über ihre Lippen.
Aus dem unscheinbaren Mädchen, das sie noch vor ein paar Minuten
gewesen war, wurde eine wunderschöne Frau, vollkommen. Ohne
jeden Makel ihrer Schönheit. Ihr pechschwarzes Haar hatte
sich zu feinsten Löckchen gezwirbelt und wuchs ihr in nur
wenigen Sekunden bis zu Taille. Nein, das konnte sie jetzt nur
phantasieren. So etwas gab es nicht! Das konnte doch nicht sein!
Erschrocken kniff sie die Augen zu. Nein, das war nicht real! Das
konnte nur eine Täuschung sein, ja, ihre Gedanken spielten
ihr einen Streich. Vorsichtig, öffnete sie nach und nach die
Augen. Doch sie war noch immer diese vollkommene Frau mit den langen
Haaren. Ihre Wimpern waren gewachsen, pechschwarze Wimpern, die
ihre wunderschönen Kristallblauen Augen umspielten. Und ihre
Augenbrauen, zu einem perfekten Schwung geformt, wiederholten die
pechschwarze Farbe. Das konnte nicht sein, dachte sie. Sie hatte
doch nicht von Natur aus so schwarzes Haar gehabt. Nein, erst vor
einer Woche war sie erneut beim Friseur gewesen um sich diese Farbe
zu kolorieren. Doch jetzt gehörte dieses makellos schöne
schwarze Haar zu ihr, war um nichts auf der Welt zu übertünchen.
Sie nahm ihre Hand und fuhr an ihrem Gesicht herab. Kein einziges
Pickelchen, kein Grübchen. Sie beobachtete ihre Hand, schlanke,
gerade Finger mit ebenso schlanken Fingernägeln, gesund und
von heller Farbe. Das konnte nicht sein. Sicher lag sie in ihrem
Bett und das war alles nur ein Traum. Einer von vielen ihrer Träume.
Unversehens zwickte sie sich in den Oberarm. Doch sie erwachte
nicht. Zwickte noch stärker, daß ihr die Tränen
in die Augen schossen und die glatte Haut hinab kullerten. Ihre
Figur. Oh, war sie nicht schon immer ein kleines Pummelchen gewesen?
Doch davon war nichts mehr zu sehen, nein, ihre Körperformen
entsprachen denen einer perfekten Frau, so wie sie immer im Fernsehen
zu bewundern waren. Das konnte nicht sein. Sie war vollkommen.
Sie stutzte. Hatte sie nicht zu diesem Jüngling gesagt, sie
wollte eine vollkommene Schriftstellerin sein? Oh nein. Es war
sein Ernst gewesen. Kein Scherz, wie sie angenommen hatte. Ein
Schreck fuhr durch ihre Glieder, sie hatte sich ihm nach zehn Jahren
versprochen. Oh nein, das war kein Traum. Das war Magie. Schwarze
Magie vielleicht. Doch er sah nicht böse aus. Nein, das nicht.
Sie taumelte. Konnte das alles real sein? Noch ahnte sie nichts
davon wie sich ihr Leben in diesen ihr noch verbleibenden zehn
Jahren verändern sollte. Nein, sie ahnte nicht, daß sie
zu einer gefeierten und beliebten Erfolgsautorin wurde und jedes
ihrer Bücher auf Platz Eins der Hitliste landete. Nein, das
konnte sie noch nicht wissen.
Doch es geschah wie voraus gesagt.
Sie setzte sich sofort an den kleinen klapprigen Schreibtisch aus
Zedernholz, den sie schon als Kind geliebt, und behütet hatte
als man sich seiner entledigen wollte. Vor ihr lag ein Stapel weißes,
unbeschriebenes Papier. Ohne nachzudenken nahm sie jenen Füller
und fing an zu schreiben, die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus
und ihre Hand schmerzte nach einer Weile. Sie hatte sich nie für
eine dieser Schreibmaschinen begeistern können, nein, sie
wollte, daß ihre Hand diese wundervollen Worte zu Papier
brachte, selbst wenn es mühsamer war. Sie schrieb und schrieb,
ließ sich von keinem Geräusch, von der Straße
her ablenken. Sie schrieb auch noch als der Mond aufgegangen und
den Platz mit der Sonne getauscht hatte. Ohne von ihrem Papier,
ihrer Handschrift, aufzusehen knipste sie die kleine Lampe an,
deren Fuß, aus einem alten Messinggestell, langsam verrostete.
Und so vergingen die Jahre. Sie hatte ihren Job an den Nagel gehängt
und schrieb und schrieb. Mittlerweile war sie jene Schriftstellerin,
die sie immer hatte sein wollen. Ja, und sie liebte es. Mit dem
Geld wußte sie nichts anzufangen. Nein, stattdessen spendete
sie es gemeinnützigen Organisationen zum Schutz der Rechte
des Menschen, Hilfsgruppen, die jene Menschen in Afrika vor dem
Hungertod bewahrten und Vereinen, die um das Überleben einzelner
Tierarten kämpften, nur einen kleinen Teil von dem, was sie
verdiente, behielt sie für sich. Sie mochte den Luxus nicht.
Jener konnte sie nur ablenken, von ihrer Bestimmung eine Meisterin
des Wortes zu sein. Sie bevorzugte das einfache Leben, das tat
sie schon immer. Sie wurde geliebt und begehrt von Menschen, die
sie nicht kannte, die sie noch nie gesehen hatte, die ihr nichts
bedeuteten. Ja, sie bedeuteten ihr nichts und dennoch las sie deren
Briefe, Liebesbriefe von schönen und weniger schönen,
von netten und romantischen, von verliebten Männern und welchen,
die einfach nur ihre Freunde sein wollten. Und einer, ja einer
schickte ihr jeden Tag ein Gedicht, solche wie sie als junges Mädchen
auch geschrieben hatte. Sie handelten nicht etwa von Liebe, nein,
sie offenbarten ihr seine Seele, wie er die Welt sah. Das erfüllte
sie mit Stolz. Das es jemanden gab, der sich ihr auf diese Weise
versuchte zu öffnen. Jeden Tag war sie gespannt, was er wohl
dieses Mal schreiben würde und fischelte unter diesen vielen
Umschlägen seinen heraus, den übrigen keine Beachtung
schenkend. Sie bemerkte nicht, wie ihr Herz sich mehr und mehr
nach ihm sehnte, danach in seine Augen zu blicken, vielleicht waren
sie grün und geheimnisvoll oder aber von solch einer wunderschönen
Farbe wie die ihren. Sie wußte es nicht, und das machte sie
traurig. Wer war dieser geheimnisvolle Mann, der ihr Leben mit
seinen Gedichten bereicherte? Es folgte ein Auftritt dem anderen,
bei denen sie aus ihren Büchern vorlas, mit geheimnisvoller
sanfter Stimme, die die Zuhörer in ihren Bann zog. Einmal
sogar bekam sie eine dieser kleinen goldenen Statuen verliehen,
die sie als beste Schriftstellerin des Jahres krönte. Oh,
das erfüllte ihr Herz mit solch einer Wärme, solch einer
tiefen Liebe zu den Menschen, die ihr jetzt, nun mehr seit neun
Jahren doch so viel bedeuteten. Aber es sollte sich alles ändern.
An einem kalten verregneten Montagabend saß sie wie gewöhnlich
vor ihrem kleinen, klapprigen Schreibtisch aus Zedernholz und schrieb
mit jenem vollkommenen Füller die letzten Worte ihres wohl
letzten Buches. Das wußte sie, daß es ihr letztes sein
mochte. Sie blätterte die Seiten um zu einem sauberen Stapel
auf dessen Oberseite sie ein noch reinweißes Blatt legte
und darauf in geschwungenen Lettern schrieb: "Und alles begann
an einem Freitag, dem Dreizehnten". Hatte sie da etwa ihre
Geschichte geschrieben? Sie sah auf die kleine Wanduhr, deren Zeiger
kurz vor Mitternacht standen. Ja, sie hatte über ihr Leben
beschrieben, über jene Begegnung mit dieser verheißungsvollen
Gestalt und wie er ihr Leben gelenkt und nach ihrem Wunsch zauberte.
Sie zuckte erschrocken zusammen, es hatte an der Tür geklopft. Ängstlich
saß sie auf ihrem Stuhl, wagte nicht zu atmen, wagte nicht
sich zu bewegen. Es klopfte noch einmal, noch härter, daß die
Tür vibrierte. Zögernd stand sie auf und öffnete
die Tür, nur einen Spalt breit.
"
Hältst du dein mir gegebenes Versprechen?", fragte jene
Gestalt vor der sie sich so gefürchtet hatte, in den zehn
Jahren, in denen sie nicht so recht wußte, was kommen würde.
Sie sah ihn, diesen Jungen mit den Engelslocken. Nein, das war
kein Traum, von weitem hörte sie die Turmuhrglocke, wie sie
Mitternacht schlug. Ihre zehn Jahre waren abgelaufen, vorbei, als
hätte es sie nie gegeben.
"
Hältst du dein Versprechen oder wünschst du die Strafe,
den Tod?", fragte er nochmals, aber nicht etwa eiserner und
fordernder wie damals, nein, in seiner Stimme klang Freundlichkeit
und ein zaghaftes Lächeln umspielte seine jungen wohlgeformten
Lippen.
"
Was muß ich tun?", fragte sie zögernd, die Augen
zu einem Spalt zusammen gekniffen.
"
Komm mit mir." Er streckte ihr, ebenfalls zögernd, seine
Hand entgegen. "Nimm meine Hand." Sie öffnete die
Tür, noch immer auf alles vorbereitet, doch dieser Knabe lächelte
sie an. Noch nie hatte sie ein derart schönes Lächeln
gesehen, seine weißen Zähne blitzten und die jadefarbenen
Augen, eingerahmt von langen blonden Wimpern, strahlten sie so
warm und voller Liebe an. Dennoch verspürte sie Furcht, ihr
Körper kribbelte und sie glaubte sogar auf ihrem Gesicht jene
Gänsehaut zu spüren, die ihren ganzen geschmeidigen Körper
einhüllte. Sie zog sich jenen Wollmantel über, mit dem
alles begonnen hatte und ergriff seine zierliche Hand. Wärme
durchflutete sie. Er war ihr ganz nah und verscheuchte ihre Furcht.
Sie gingen gemeinsam, Hand in Hand, die ewig dauernden Treppenabgänge
hinunter, überquerten die jetzt leere Straße und kamen
der dunklen Gasse, jener dunklen Gasse von diesem verhängnisvollen
Freitag, immer näher. Was mochte wohl geschehen, dachte sie.
Würde sie in der Hölle landen, auf ewig verdammt sein?
Der Junge blieb, auf jener Pflasterstraße angekommen, vor
ihr stehen und sagte mit einem Lächeln: "Hab keine Angst!" Und
auf einmal, plötzlich, als hätte es sie nie gegeben,
die vollkommene schöne Frau, war sie mit ihm verschwunden,
ins Nichts. Doch die Erinnerung an sie blieb, ihre Bücher
erfüllten die Menschen mit Liebe zueinander. Doch einer, jener
geheimnisvolle Gedichteschreiber war ebenfalls glücklich,
so glücklich, daß er sie nun bei der Hand hielt. |
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