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Die Hexen
von Castaway
(1) Der Dämon
© by Sandra Kuhn
Die Sonne schien hell und klar am morgendlichen Himmel
und eine kühle Luft hing über den Feldern und Straßen, wie gewöhnlich
für diese graue Jahreszeit. Die Pflasterstraßen schlängelten
sich einsam und still zwischen den Häusern und Baumgruppen, die
noch kahl in ihrem Winterschlaf schlummerten. Eine hauchzarte
Schneeschicht lag auf den unberührten Wiesen, die an Puderzucker
erinnern mochte.
Ihr Atem schien zu gefrieren als sie in ihre Hände blies um diese
zu wärmen. Ihre von der Kälte zitternden Finger zupften die
schwarzen Baumwollhandschuhe aus ihrer Jackentasche und ungeschickt als
hätte sie noch nie in ihrem Leben solche Stoffhandschuhe angezogen
stülpte sie jene über. Einzeln wurde jeder Finger gut verpackt
in der wärmenden Stoffhülle. Kurz sah sie auf. Das Örtchen
schien verlassen, nirgendwo hörte sie eine Tür ins Schloß fallen,
das Kratzen des Eisschabers um die gefrorene Schneedecke von den Autos
zu entfernen, noch irgend etwas anderes, nicht ein einziges Geräusch
von Menschenhand konnte sie vernehmen. Sie rief sich ins Gedächtnis,
daß es doch jeden Morgen so ruhig war. Wer stand auch schon, wie
sie, kurz nach fünf Uhr auf der Straße? Sie nahm ihren Eiskratzer
und schabte nach und nach das Nötigste ihres kleinen Automobiles
frei. Frierend, mit klappernden Zähnen ließ sie sich auf den
Fahrersitz fallen und zog die Tür ins Schloß, ließ den
Motor an und fuhr davon. Nachdem sie sich gegen die angelaufenen Scheiben
behauptet hatte und sich nun gegen die eisige Straße durchzusetzen
versuchte, vernahm sie eine Stimme. Nichts, daß ihr vertraut war,
nichts, daß man hätte verstehen können. Es war nur ein
leises Flüstern. Erschrocken blickte sie in den Rückspiegel
und drehte sich dann leicht zu den hinteren Sitzen um. Doch da war nichts.
Sie versuchte sich einzureden, daß sie nur phantasiert hätte
und vergaß es für den restlichen Tag, an dem sie in ihrem
Büro von Aktenstapeln zahlreicher Klienten zugeschüttet wurde.
Und dann als es schon dunkel war und der Mond hoch am tiefschwarzen Himmel
leuchtete, saß sie, den Oberkörper auf einige Akten gestützt
an ihrem Schreibtisch und schlief. Das Büro war verlassen und nur
sie als einzige war, wie so oft zuvor, noch an ihrer Arbeit. Ihr rotes,
lockiges Haar lag um ihre Arme auf den Akten verstreut und bildete einen
wahren Teppich. In ihrem Traum vermischten sich berufliche Krisen mit
Szenen aus der Familie, den Eltern, die sie nie kennen gelernt hatte.
Doch plötzlich sah sie eine Fratze, seltsam entstellt mit purpurfarbenen
Augen, einer grünlich schimmernden Haut und eigenartigen Höckern
auf Stirn und Nase. Grausam fletschte es seine Zähne und grinste
sie hämisch an. Mit einem lauten Schrei fuhr sie aus ihrem Traum
in die reale Welt ihres kleinen Büros zurück. Winzige Schweißperlchen
glitzerten auf ihrer Stirn und die samtiggrünen Augen schienen vor
Entsetzen getrübt. Sie schüttelte ihre rote Mähne als
wollte sie den Traum aus ihrem Gedächtnis schütteln und wahrscheinlich
verdrängte sie das Gesehene einfach. Sie packte ihre Sachen zusammen,
verstaute sie in der kleinen schwarzen Handtasche, warf sich ihren Mantel über
und verlies das B üro.
Sie
drehte den messingfarbenen Schlüssel im Schloß und drückte
die Tür auf. Ein dunkler Raum lugte hinter der sperrigen, knöchrigen
Holztür hervor. Sie drückte die Tür hinter sich ins Schloß und
schaltete die alte Tischleuchte auf der Anrichte neben dem Kleiderständer
ein. Ein spärlicher Lichtkegel erhellte das Zimmer. Der Mond schien
hell durch eines der großen Fenster und sie konnte dem Drang nicht
widerstehen sich ganz nah an die Glasscheibe zu lehnen und einfach nur
diesen wunderschönen Vollmond zu betrachten. So groß und gelb
war er nur selten und ihr war als würde er nichtsichtbare Signale
senden, die ihr Trost spendeten in ihrem tristen Leben. Und plötzlich
als sie die Augen schloß, vernahm sie wieder diese Stimme, nun
deutlicher. Sie konnte sie fast verstehen. Sie zuckte nicht erschrocken
zusammen, sondern legte nur die Stirn in Falten als müßte
sie sich konzentrieren, was sie ihr sagen wollte. Woher kannte sie diese
Stimme nur, sie war ihr so sehr vertraut. "Finde Zoey, du mußt
sie finden..." Was hatte das zu bedeuten? Zoey, wer war das? Wie
sollte sie diese Person finden? Wo sollte sie suchen? Und dann war es
vorbei, still lag die spärlich beleuchete Wohnung wieder da, als
wäre nichts gewesen. Sie öffnete die Augen und eine einzelne
Träne trennte sich von ihren Augen und kullerte ihre Wange hinab.
Warum nur fühlte sie sich so entsetzlich einsam? Doch sie fing sich
schnell und ließ sich auf den nahestehenden Stuhl nieder um über
das eben erlebte nach zu denken. Diese seltsame Stimme hatte ihr gesagt,
sie solle eine gewisse Zoey finden. Wie um Himmels Willen sollte sie
das anstellen? Es war merkwürdig, sie misstraute ihrer Erscheinung
nicht, sie war ihr eigenartig bekannt. Wieder stand sie auf und blinzelte
hoffend zum Mond hinauf, als könnte er ihr helfen. Und dann wanderte
ihr Blick zielgerichtet nach unten zur Straße und sie erkannte
die Umrisse einer Person. Als sie genauer hinsah, stellte sie fest, das
es die Konturen eines Mädchens mit wallenden langen Haaren waren.
Auch sie sah zu ihr hinauf. Ihre Blicke trafen sich und ein vertrautes
Gefühl machte sich in ihr breit. Langsam ging das Mädchen auf
der Straße ein paar Schritte zurück, wie aus dem Nichts rief
sie ihr zu "Zoey, bleib stehen!" Verdutzt über ihre eigenen
Worte schaute sie ihr hinterher. Hatte sie sie eben Zoey genannt? Ja,
und sie hatte nicht nachgedacht, es kam einfach so aus ihr heraus. Das
mußte das Mädchen sein, das sie suchen sollte. Doch als sie
wieder auf die Straße sah, war sie verschwunden. Nichts weiter
als Pflastersteine und Bäume waren noch zu erkennen. Ermüdet
von den Geschehnissen des heutigen Tages beschloss sie ins Bett zu gehen
und erst am nächsten Morgen darüber nachzugrübeln. Doch
in dieser Nacht fand sie keinen ruhigen Schlaf, immer wieder erwachte
sie Schweißgebadet aus eigenartigen Träumen, die sich um eine
einzige Zahl, einundzwanzig, drehten. Und dann erkannte sie ein Datum
und zwei kleine schreiende Babys. Zwei Babys, geboren am 29. Februar
1980. Wieder wachte sie auf, aber dieses Mal konnte sie einfach keinen
Schlaf mehr finden. Ihre Gedanken kreisten um diese Zahlen. Wie alt war
sie? Sie wußte es nicht. Als kleines Kind wurde sie ausgesetzt
gefunden, man hatte ihr Alter geschätzt und ihr einen neuen Geburtstag
und Namen gegeben. Sie hatten sie Melinda genannt und den Namen ihrer
Pflegefamilie hatte sie übernommen. Melinda Traver. Allerdings wußte
sie schon immer, das es nicht ihr richtiger Name und nicht ihr richtiges
Geburtsdatum war. Wenn sie doch nur ihre leiblichen Eltern kennen würde.
Hatten sie sie nicht mehr haben wollen und sie deswegen ausgesetzt, einfach
so? Sie wußte es nicht. Sie wußte genauso wenig, woher manche
Empfindungen in ihr kamen die ihr so wenig vertraut waren, wie die Kollegen
in der Kanzlei. Manchmal hatte sie geglaubt, zu ihr würde noch jemand
gehören, als könnte sie die andere Person spüren. Doch
da war nie ein Mensch gewesen, der ihr so nahe stand. Und plötzlich
als hätte sie es schon immer geahnt kam ihr der Gedanke vor Augen,
daß sie vielleicht eines dieser Babys gewesen sein könnte
und das andere das Mädchen, das sie am Abend gesehen hatte. Dann
wäre sie am 29. Februar geboren worden. Das war ja gestern, erinnerte
sie sich. Vielleicht war sie gestern einundzwanzig geworden! Welch ein
Zufall, das dieses Jahr gerade ein Schaltjahr war. Sie streckte ihre
Beine aus dem Bett, tappte durch die dunkle Wohnung und öffnete
den Kühlschrank, setzte eine Flasche Milch an ihre Lippen und trank
und trank ... bis sie leer war. Sie wischte sich den Milchschaum vom
Mund und warf die Flasche in den Mülleimer neben einem der Schränke.
Sie konnte wohl nicht mehr einschlafen, dachte sie sich und sah
zu der tickenden Uhr auf der Kommode. Viertel nach drei. Und das
an einem Samstag.
Sie saß in einem der Cafes der Ortschaft und hielt die Angebotskarte
in ihren Händen. Sie sollte hierher kommen, sich an diesen Tisch
setzen, das hatte ihr die Stimme gesagt. Sie überlegte. Seit gestern
Abend vernahm sie nur noch eine Stimme, die zu ihr sprach. Sie kam ihr
so bekannt vor, doch wußte sie jene nicht recht einzuordnen. Nun
saß sie also an dem Tisch mit den ledernen Bezügen und der
Orchidee am großen, hellen Fenster. Die Kellnerin kam und sie bestellte
einen schlichten Kaffee, der hoffentlich ihre Müdigkeit vertreiben
und sie wieder klar denken lassen würde. Sie hatte ihren Blick gerade
auf die marmorfarbene Tischplatte gesenkt als sich ihr gegenüber
eine junge Frau niederlies, mit ebenso rotem, lockigem Haar wie das ihre
und denselben samtiggrünen Augen. "
Zoey.", sprudelte es aus ihr heraus. " Ja Julie. Ich bin es. Endlich haben wir uns gefunden." "
Julie? Aber..." Fragend starrte sie die Frau an, die ihr Ebenbild
hätte sein können. "
Dein Name ist nicht Melinda Traver, das wußtest du doch schon immer,
ich habe es gespürt." "
Dann hattest du auch das Gefühl, das es noch jemand gibt außer
dir. Hast du auch dieses Band zwischen uns gefühlt?" "
Ja. Ich habe es auch gespürt. Ich bin nach dir auf der Suche, seit
ich die Stimme höre und in meinen Visionen sah ich dich so genau
vor mir ..." " Welche Visionen?" "
Weißt du es etwa nicht?" Julie schüttelte den Kopf. "Wir
sind Hexen. Genaueres weiß ich auch nicht. Ich kenne nicht den
Grund, weshalb wir getrennt bei verschiedenen Pflegeeltern aufwuchsen
oder was aus unseren wahren Eltern geworden ist. Diese Nacht hatte ich
eine Vision von einem uralten Buch und zwei Ringen. Aber leider weiß ich
nicht mehr darüber." "
Das ist unglaublich. Dann habe ich doch uns in meinem Traum gesehen!" Die
beiden Frauen schwiegen, hielten sich nur bei den Händen und sahen
sich tief in die Augen. Beide konnten es kaum glauben sich nach
so langer Zeit, nach einundzwanzig Jahren, gefunden zu haben.
Die Kellnerin brachte den Kaffee und fragte Zoey nach ihrer Bestellung,
zog dann mit dem Bleistift hinter dem Ohr von dannen und kehrte
wenig später mit dem zweiten Kaffee balancierend in den Armen zurück.
Noch immer hielten sie sich bei den Händen und blickten sich an,
doch auf einmal glühten der beider Pupillen in einem dunklen Rosa
und wie von Geisterhand erschienen zwei Ringe, sie schlossen sich um
der Frauen Ringfinger und blieben auch noch dort nachdem beide erschrocken
zurück zuckten. "
Die Ringe!", flüsterte Zoey aufgeregt. "Wir waren der
Schlüssel!" "
Ja, und deine Augen haben geglüht." "
Deine ebenso." Julie musterte ihre neue Schwester. Vor ein paar
Tagen hätte sie jeden ausgelacht, der ihr mit solch einer verrückten
Geschichte gekommen wäre. Doch heute, heute sah sie alles mit anderen
Augen. Wahrscheinlich hatten ihre Fähigkeiten mit Erreichen des
einundzwanzigsten Lebensjahres eingesetzt, doch welche Fähigkeiten
mochten das sein? Beide hörten Stimmen und Zoey hatte Visionen.
Was für Kräfte besaß sie? Waren ihre Vorfahren schon
seit vielen Generationen Hexen und Zauberer gewesen? Es gab so viele
Fragen auf die sie einfach keine Antworten fand, doch sie hatte Zoey.
Endlich hatte sie jemanden gefunden, der zu ihr gehörte. Zusammen
würden sie das Rätsel schon lösen. "
Nun müssen wir uns auf die Suche nach dem Buch machen und herausfinden
was es mit den Ringen auf sich hat.", mit diesen Worten brach Zoey
die drückende Stille zwischen den beiden und so fand Julie wieder
aus ihren Gedanken zurück. "
Weißt du was für ein Buch wir suchen?" "
Nein, ich weiß nur das es sehr alt ist und uns vielleicht viele
Fragen beantworten kann." Sie tranken schweigend ihren Kaffee und
betrachteten den Schmuck an ihren Fingern eingehender. Ein silbern geschwungener
Ring mit einzelnen Monumenten verziert und obenauf eine Fassung in der
ein weiß - bläulicher Edelstein eingearbeitet war, in dessen
Inneren ein seltsam helles Licht glühte.
Nach einiger Zeit in der sie über ihre wahre Bestimmung diskutiert
und heiter gelacht hatten, waren ihre Tassen geleert, doch nirgends konnten
sie die freundliche Bedienung erspähen. In ihren Gedanken wünschten
sie sich einen neuen Pott dunkelbraunen Kaffees herbei, der vielleicht
ihre Blicke in sich versenken und sie wieder etwas nüchterner denken
lassen würde, doch die junge Kellnerin war nicht in Sichtweite.
Zoey wollte sich schon erheben um am Tresen zwei neue Bestellungen aufzugeben
als sich plötzlich ihrer beider Tassen mit köstlich riechendem
Bohnenkaffee füllten. Wie erstarrt stierten die Frauen auf diese
seltsame Erscheinung. "
War das eben wirklich passiert, oder bilde ich mir nur ein, das
in meiner Tasse wieder Kaffee ist?", fragte Julie verwirrt. "
Nein, ich sehe es auch. Wie kann das sein?" Das Umfeld erschien
ihnen belanglos im Gegensatz zu dem plötzlichen Erscheinen dieser
bedeutungslosen Flüssigkeit. Eine Stille umgab sie als wären
ihre Gedanken in einem Vakuum gefangen und ihre Körper an einem
weit entfernten Ort. Zoey fand als Erste zu sich zurück. "
Das Hexenleben hat auch Vorteile.", teilte sie lächelnd mit
und genoß in einem Schluck den braunen Inhalt ihrer keramikfarbenen
Kaffeetasse. Julie zwirbelte eine rote Haarsträhne zwischen ihren
Fingerspitzen als l äge darin des Rätsels Lösung.
Sie
lag in ihrem Bett, dessen Bezüge schon zerknittert und durcheinander
vom vielen hin und her am Rand des Rahmens hing. Der bläuliche Schimmer
an ihrer Wange rührte durch den kleinen silbernen Schmuck an ihrem
rechten Ringfinger her, den sie zuvor einfach nicht hatte ablegen können.
Zu stark war die Angst ihn am nächsten Morgen vielleicht nicht mehr
vorzufinden. Der Mond strahlte unnatürlich hell durch die geschlossenen
Jalousien und sein Licht schien an Intensität zuzunehmen. Als er
dem Sonnenlicht fast ebenbürtig war erwachte Julie aus einem tiefen,
sinnlichen Schlaf. Sie öffnete schwermütig die Augen und starrte
zu dem, vom Mondlicht angeleuchteten, Fenster ihrer Schlafstube hinüber.
Neugierig erhob sie sich von der Matratze, zog die Jalousie auf und betrachtete
das gleisend helle Licht des halbförmigen Sichels am schwarzen sternlosen
Himmel. Das Licht schien sie in sich aufzunehmen, sie konnte die wärmende
Atmosphäre um sich herum spüren als durchdrang sie ihren Körper.
Sie fühlte die Geborgenheit, die es ausstrahlte, die Nähe zu
dem hellen Schein. Und auf einmal fand sie sich in einem grauen Gemäuer
wieder, es roch nach kalter Luft und ein leiser Windzug durchströmte
Mauer um Mauer. Ihr Körper war in ein reinweißes Gewand aus
purer Seide gehüllt und ein hoher, ebenso reinweißer, spitzenförmiger
Hut scmückte ihre hochgesteckten roten Locken. Sie ging die endlosen
Steintreppen hinab mit der Hoffnung baldmöglichst auf der Etage
anzukommen. In weiter Entfernung hörte sie Stimmen, fröhlich
lachende Frauen und sorglos singende Männer. Julie erreichte die
untere Etage in der sich das lustige Treiben abspielte. Laute Musik aus
scheinbar mittelalterlichen Holzinstrumenten unterstützten das ausgelassene
Singen. In der Mitte des weiten Saales, dessen Wände aus blosen
Steinmauern bestanden, erblickte sie einen großen breiten Tisch
mit einem weißen Tuch bedeckt und auf dessen Oberfläche zahlreiche
Holzschalen mit allerlei Speisen standen. Fleisch in vielen Variatonen,
Früchte, ein paar kleinere Weinfässer und unzählige Weinkelche
auf dem Tisch oder in den Händen der Leute. Die Frauen ebenso wie
sie in weiße Gewänder gehüllt und mit einer ebensolchen
Lockenpracht wie die Ihre. An einer der Frauen Hand erhaschte ihr Blick
einen silbernen Ring ähnlich dem Ihren. Ihr Haar war von der gleichen
roten Farbe und reichte ihr, zu einem breiten Zopf geflochten, bis zu
den Hüften hinab. Als sich der beider Blick traf, nur eine Sekunde
lang, glühten ihre Augen in demselben Rosa wie sie es bei Zoey gesehen
hatte. Zwischen ihr und der Fremden herrschte plötzlich eine merkwürdige
Vertrautheit. Ruhig, nicht aus Furcht, verließ die Frau den Saal,
stieg die Treppen hinauf und begab sich in einen der oberen Flure. Julie
fühlte einen seltsamen Drang ihr zu folgen. Als die fremde Frau
vor ihr in dem engen Flur verharrte, war sie sich nicht sicher ob es
gut gewesen sei ihr hinterher zu gehen. Doch sie stieg die letzten Stufen
empor und stand ihr nun auf gleicher Höhe. Diese lächelte sie
nur herzlich an und griff nach ihrem Handgelenk. Ihre samtiggrünen
Augen vertrieben sofort Julies Ängste und wärmten ihr Herz.
Sie fühlte sich durch deren Schönheit an eine der Feen aus
den zahlreichen Märchen erinnert, die sie als junges Mädchen
gelesen und die sie so sehr fasziniert hatten. " Mein Kind ... welche deiner Fragen soll ich beantworten?"
Unsicher was sie tun sollte sagte sie: "Wer bin ich?" "
Nun", begann die Frau deren Ring Julies glich. "Du bist eine
von uns. Eine Marron. Du ... und deine Schwester. Es war nur eine Frage
der Zeit bis du zu mir finden würdest. Denn hier beginnt unsere
Geschichte." "
Unsere Geschichte?", fragte Julie verblüfft. "
So ist es mein Kind." Mit einer weit ausholenden Handbewegung fügte
sie hinzu: "Hier in Castaway hat alles begonnen. Die Generationen
der Marron-Hexen waren durch mich geboren." " Wer sind sie?" " Mein Name ist Virgie Marron von Castaway." " Dann sind sie meine Vorfahrin?" "
Ja, und an dir und deiner Schwester liegt, was ihr aus euren Fähigkeiten
macht." Als sie sich entfernen wollte, hielt Julie sie zurück. "
Nein, warten Sie. Ich habe noch so viele Fragen." Die Frau lächelte
wieder und küßte Julies Handrücken. "
Die Ringe werden euch führen!"
Dann verschwand die Fremde, der sie sich so nah fühlte, ins Nichts
und sie stand wieder vor ihrem Fenster, der abnehmende Mond am Himmel
hatte sein gewöhnliches Aussehen und die Sterne leuchteten am nächtlichen
Schwarz.
Die Türglocke leutete. Sie öffnete die Tür und bat Zoey
herein zu kommen, sich zu setzen und sich wie zuhause zu fühlen.
Sie zitterte vor Spannung, da sie es kaum noch aushielt; sie mußte
ihr von dem nächtlichen Geschehnis erzählen. Gespannt hockte
ihre Schwester auf einem der Sessel und blickte sie neugierig an. "
Nun erzähl schon.", drängelte sie.
Und so verriet sie ihr das Erlebnis der vergangenen Nacht, beschrieb
ihr die Wärme, die der Mond durch ihr Fenster auf sie geleitet hatte,
das lustige Treiben in dem großen Saal, die fremde Frau, die ihnen
so ähnlich sah, den Ring und erläuterte den Name der Marron-Hexen.
Als sie fertig war mit ihrer Geschichte zitterten beide Frauen
vor Aufregung. Zoey betrachtete den magischen Schmuck ihres Fingers. "
Die Ringe werden euch führen? Was kann sie damit nur gemeint haben?"
Julie zuckte mit den Schultern und beäugte ebenfalls ihren Ring
ungnädig. Was wollte Virgie nur damit sageb, dachte sie. " Marron von Castaway. Das klingt fantastisch." "
Ja, also muß unsere Mutter ebenfalls eine Marron gewesen sein." "
Genau, und ihre Mutter und deren Mutter...", folgerte Julie. Beide
schwiegen und jede hing ihren eigenen Gedanken nach als plötzlich,
aus dem Nichts, eine druckfrische Tageszeitung über ihren Köpfen
schwebte, kein Anzeichen dafür woher sie gekommen sein könnte
oder wer sie geschickt hatte. Zoey bemerkte sie zuerst als das Bündel
Papier sich langsam senkte, jedoch auf Augenhöhe der beiden verharrte.
Auch Julie nahm sie jetzt wahr, sprang vor Schreck von ihrem gemütlichen
Sessel auf und plumste zu Boden. Zoey nahm die Zeitung, vorsichtig als
wäre sie zerbrechlich, in die Hände und starrte ihre Schwester
hilfesuchend an. Diese richtete sich wieder auf und kam näher um
die geheimnisvolle Erscheinung zu betrachten. Springfield Gazette stand
in schön anmutenden Lettern am Kopf der Titelseite. "
Was hat das zu bedeuten?", fragte Zoey ungläubig. "
Sieh mal hier, sie will uns etwas sagen", erklärte Julie mit
dem Finger auf den Aufmacher der Springfield Gazette zeigend. In der
ersten fett gedruckten Überschrift stand geschrieben: Neue Ausstellung
des Fantastischen, geheimnisvoller Mythen und der Magie jetzt im Springfielder
Museum zu besichtigen. Das mußte es sein, dachten beide und wie
auf ein Zeichen sprudelte es gleichzeitig aus ihnen heraus. "Wir
müssen dahin!" Sie sahen sich an und begannen zu lachen, so
unbeschwert wie sie in den letzten Tagen nie hatten sein können.
Dann beruhigten sie sich und verließen gemeinsam die kleine Dachwohnung.
Die Straßen waren kaum befahren und nur einzelne hatten an diesem
kalten Tag ihre angenehme warme Wohnung verlassen um frische Winterluft
zu schnappen. Hier und da bellte ein Hund. Der Häuser Dächer
waren noch mit tiefem Schnee bedeckt, der ab und zu von oben ins Rutschen
kam und mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden fiel. Nach kurzer
Zeit erreichten sie das Museum des nahegelegenen Springfield. Vor dem
Eingang hatte sich eine kleine Traube von Menschen gebildet, die nur
stückchenweise vorwärts kamen. Beide lösten eine Karte
und schlossen sich der wartenden Schlange an. Nach einigem Warten strömten
beide umringt von anderen in die Eingangshalle und schlugen sich mühsam
zu der ersehnten Ausstellung durch. Ihnen klopfte das Herz in der Kehle
als sie den großen hellen Raum betraten und sich den Schwestern
ein Blick auf Gegenstände, Karten, Gemälden und anderen Hinweisen
auf Magie darbot. Langsam schlenderten sie durch die verschiedensten
Austellungsmaterialien. An einem Gemälde jedoch blieben die Augen
beider wie gelähmt hängen. Mit düsteren und doch einzigartigen
Farben war eine uralte Burg dargestellt. Julie las den Untertext zu diesem
Stück leise vor. Burg Castaway um 1130 erbaut. Der Legende nach
soll hier eine der mächtigsten Hexen, deren Name unbekannt ist,
gelebt haben. Castaway wurde etwa im Jahre 1762 zerstört als man
in deren Inneren das Böse vermutete. Die Annahmen blieben unbestätigt
Staunend blickten sie zu dem Gemälde und konnten sich nur schwer
von ihm lösen. Weitere unwichtige Dinge begegneten ihnen und sie
wären beinah an einem der Höhepunkte vorbei gegangen ohne es
näher zu betrachten, doch wie magisch angezogen traten sie die paar
Schritte zu dem besagten Ausstellungsstück zurück. Ihren Blicken
bot sich unter Glas gehalten ein uraltes, großes, dickes Buch auf
dessen Buchdeckel die Worte Buch des Wissens mit scheinbar goldener Farbe
eingeprägt waren. Julie berührte eine der Glassscheiben und
auf einmal begann das Symbol des Buches, es stellte wohl eine Art Auge
dar, zu glühen ebenso die Steine ihrer beider Ringe. Das mußte
ein Zeichen sein, dachte sie und zog ihre Hand schnell wieder zurück,
damit es niemand sehen konnte. Die beiden schauten sich neugierig an
und Zoey zeigte auf den Untertext. Buch des Wissens. Vermutlich handelt
es sich um ein vor etwa 900 Jahre hergestelltes Zauberbuch, daß aus
dem Besitz der Hexe von Castaway stammt. Es ging erst vor 21 Jahren für
die Ausstellung ein. Angenommen wird, das es nur die Hexe von Castaway
benutzen konnte, denn bislang lies es sich noch nicht öffen. Beide
wechselten erstaunte und doch ungläubige Blicke. "
Das Buch. Das ist es, daß ich in der Vision sah. Wir müssen
es haben." "
Hast du eine Ahnung wie wir dazu kommen sollen? Wir können es doch
nicht stehlen!" "
Wieso nicht? Immerhin gehört es unserer Familie." "
Nein. Das können wir nicht. Komm, laß uns nach Haus gehen
und überlegen was wir tun sollen." Zoey hielt sie am Arm. "
Wir können es doch nicht einfach hier lassen. Wer weiß, vielleicht
wird es gestohlen oder..." "
Zoey bitte. Willst du etwa hier die Glassscheiben einbrechen und
einfach mit ihm unter dem Arm hinaus spazieren?" Sie schüttelte
den Kopf und trabte hinter ihrer Schwester aus dem Museum. Schweigend
saßen sie während der Rückfahrt nebeneinander, wagten
es nicht sich anzusehen, doch dann unterbrach Julie die Stille. "
Virgie sagte, die Ringe werden uns führen. Sicher gibt es eine einfache
Lösung, wie wir an das Buch kommen ohne Aufsehen zu erregen." Zoey
nickte in Gedanken.
Nachdem Julie den Schlüssel im Schloß gedreht und die Tür
geöffnet hatte, bat sie Zoey die Nacht bei ihr zu verbringen um
darüber nachzudenken, welchen Schritt sie als nächstes tun
sollten. Ihre Schwester willigte ein und hing ihren Mantel an den silberfarbenen
Kleiderhaken neben der Tür. Sie wollte sich gerade auf die Couch
nieder lassen als ein Schrei aus ihrem Munde fuhr. Julie wandte sich
ihr erschrocken zu, auch ihr Blick fiel nun auf das uralte, große
und dicke Buch mit dem glühenden Symbol auf der Vorderseite. Es
lag auf der gläsernen Tischplatte als hätte es nie anderswo
gelegen. Sie eilte zu ihrer Schwester und setzte sich neben ihr auf das
Sofa. Zoey berührte leicht die Oberfläche des Deckel und auf
einmal verschwand das Glühen des geheimnisvollen Auges und das ihrer
Ringe. Sie nahm es in die Hände und legte es auf ihren Schoß,
vorsichtig klappte sie den Buchdeckel auf. Kein Widerstand war zu spüren. "
Scheinbar können nur die Marron-Hexen dieses Buch öffnen.",
stellte sie fest. Auf der ersten Seite stand in verschnörkelten
Lettern geschrieben: Die Liebe wird ewig siegen. Sie blätterte weiter
und begann laut zu lesen: "
Dies ist die Geschichte der Marrons, die mit der großen und ersten
Hexe von Castaway beginnt und über Generationen hinweg ihrer Vorfahrin
Virgie Marron von Castaway die Fähigkeiten verdanken um damit gegen
das Böse zu kämpfen. Sie gab durch die Geburt zweier Töchter
die Zauberkraft weiter und diese durch ihre Töchter. Die Marron-Hexen
werden ausschließlich weibliche Kinder gebären, denen sie
die Kräfte vererben. Der Schlüssel ihrer Zauberkräfte
wird jedoch stets in ihren angeborenen Ringen liegen, durch deren Verlust
die größte aller Zauberkräfte erlöschen wird; einen
Dämonen in menschlichem Wesen zu erkennen und durch das Sprechen
eines Zauberspruches ihn für Ewigkeiten zu verbannen. Ebenso wird
die Kraft genommen, unerkannt als Hexe zu verweilen.
Eines Tages wird die stärkste Generation der Marrons durch Zwillingsschwestern
geboren. Diese Frauen werden besonders bedroht sein durch den Dämonen
des Tehuteron, der sich ihre Kräfte aneignen und die Welt in Dunkelheit
hüllen würde, nur durch die Liebe und die Mächte der Ringe
wird dieser zu vernichten sein.
Eine Marron-Hexe läßt sich stets an dem kurzen Aufleuchten
ihrer Pupillen in einem zarten Rot erkennen, sobald sich zweier Marrons
gegenüberstehen." "
Diese Zwillingsschwestern von denen hier die Rede ist, ob wir das
sein sollen?", fragte Zoey ungläubig und ohne auf eine Antwort
Julies wartend blätterte sie um, weitere Seiten mit Anweisungen
folgten. Danach begann ein neues Kapitel in dem eine große Auswahl
der gefährlichsten Dämonen aufgezählt und mit einer Zeichnung
benannt wurden. Viele Seiten geschrieben in den unterschiedlichsten Handschriften
ließen die beiden vermuten, daß jede Hexe etwas neues hinzu
gefügt hatte und so war durch die vielen Generationen jenes dicke
Buch entstanden, daß sie jetzt in den Händen hielten. Nun
kamen sie zu dem letzten und größten Kapitel, daß die
verschiedensten Zaubersprüche beinhaltete. Mehrere hundert Seiten
stark reichte die Auswahl von den alltäglichsten Dingen bis hin
zum Vernichten verschiedenster Dämonen. Das letzte Viertel des Buches
bestand aus unbeschriebenen Seiten, doch auf eine der letzten stand
geschrieben:
29.Februar 1980. Die wohl stärksten Marron-Hexen sind geboren. Doch
Tehuteron hat sie schon aufgespürt, ich muß ihn vernichten
um ihr Leben zu schützen, vielleicht wird er sie nicht finden, wenn
ich ihre Zauberkräfte aussetze. Eines Tages, an ihrem einundzwanzigsten
Lebensjahr jedoch, wird der Zauberspruch verjährt sein und dann
gäbe es nur noch eine Lösung um Zoeys und Julies Leben zu schützen,
die Ringe! Gezeichnet Brejahna Marron. "
Mum!" sprudelte es aus ihnen heraus. "
Das muß sie geschrieben haben." Ein drückendes Schweigen
legte sich über sie. "
Sie hat es scheinbar nicht geschafft, sonst wären wir nie bei Pflegeeltern
aufgewachsen.", unterbrach Julie die Stille. "
Ja, du hast Recht." Sie legten ihre Hände auf die Seite als
könnten sie so ihre Mutter spüren. Es half ihnen nun über
manche Dinge die Antwort zu kennen. "
Sieh mal unter Tehuteron nach.", schlug Julie vor. " Wieso?" "
Denk doch mal nach. Mum hat es nicht geschafft diesen Dämonen zu
vernichten. Also wird er uns jetzt aufspüren können, da wir
unsere Zauberkräfte wieder haben." "
Das mag stimmen!" Zoey blätterte zahlreiche Seiten zurück
und fand schließlich den Abschnitt über Tehuteron. "
Oh nein. Den hab ich in meinem Traum gesehen!", schrie Julie, stand
auf und begann zu schluchzen. Zoey machte einen Schritt auf sie
zu und legte die Arme um sie. "
Ich habe Angst. Wie sollen wir diesen Dämonen denn bekämpfen?
Wir haben doch davon keine Ahnung. Ich will nicht sterben." "
Das werden wir auch nicht Julie. Gemeinsam werden wir das schaffen.
Im Buch des Wissens stand wir sind die Mächtigsten! Wir werden ihn
besiegen!" " Aber es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis er uns finden wird.
Vielleicht hat er uns schon entdeckt und versteckt sich nur irgendwo
um auf den passenden Moment zu warten." "
Ich schlage vor, wir lesen jetzt den Abschnitt und darin steht
sicher, was wir tun müssen." Julie beruhigte sich wieder etwas
und gemeinsam setzten sie sich an den Tisch. "
Tehuteron auch Dämon des Todes genannt. In seinen Augen befindet
sich die Macht zu töten. Er wird jede Hexe aufspüren, die die
Kraft hat, seine Pläne von der Zerstörung der Menschen, zu
durchkreuzen. Einzig die mächtigen Zwillingsschwestern könnten
ihn besiegen, da ihre Zauberkräfte doppelt so stark sein werden
als die einer gewöhnlichen Marron. Ihre Ringe haben dieselben Fähigkeiten,
weil sie am gleichen Tag geboren wurden. Sobald sie sie aneinander halten,
haben sie eine große Macht und können jedes Schattenwesen
mit bloßem Blick töten. Tehuteron wird sie einzeln aufsuchen,
da somit ihre Macht nicht vollständig ist. Folgender Zauberspruch
wird ihn auf ewig zerstören: Du Dämon des Todes kommst ganz
allein, wir Schwestern zwein, werden dich auf ewig verbannen, du sollst
keine Seele mehr fangen, gib sie frei in die Welt zurück,dann wirst
du verenden Stück für Stück. "
Also das hört sich doch eigentlich ganz einfach an!" "
Aber wir müssen uns das merken, hoffentlich vergessen wir es nicht." "
Am besten wir schreiben es auf einen Zettel den jeder bei sich
trägt. Wir sollten jetzt stets zusammen bleiben!" "
Ja, du hast Recht." Beide umarmten sich und wußten nicht,
welche Wende ihr Leben durch diesen Zauberspruch haben w ürde.
Sie
waren sich einig. Zoey würde zu ihrer Schwester ziehen, in
dem kleinen Zimmer der Pension des Ortes konnte sie unmöglich bleiben,
sie gab ihren Job als Journalistin in London auf und bewarb sich bei
den hiesigen Tageszeitungen von Springfield. Die Dachwohnung in dem dreistöckigen
Wohnhaus reichte gerade für sie beide. Der Gedanke sich ein größeres
Appartment zu suchen, lag nicht weit entfernt, doch zu diesem Zeitpunkt
würde es genügen. Jede ging, als einige Zeit verstrichen war,
ihren Tätigkeiten nach und freute sich auf den Abend, an dem von
dem Geschehen des Tages berichtet und ausgelassen gelacht wurde. Beide
trugen den kleinen, durch die Wochen abgefetzten, Notizzettel mit sich,
denn dieser konnte in der Not ihre einzige Rettung sein. Jeden Tag kamen
sich die Schwestern ein Stückchen näher und schon bald war
die Erinnerung daran vergessen, daß sie getrennt voneinander aufgewachsen
und sich erst vor kurzem gefunden hatten.
Es war an einem frühlingshaft warmen Samstagmorgen. Sie befanden
sich auf der Fahrt nach Spingfield und passierten gerade den schmalen
Feldweg, der eine größere Abkürzung darstellte. Die Sonne
schien hell durch die Kuppen der Bäume und zauberte einzelne Schatten
auf die behelfsmäßig angelegte Straße. Hin und wieder
flogen einige Vogelpärchen aufgescheucht hinauf zu den sicheren Ästen
um vor diesem merkwürdigen Gefährt Schutz zu suchen. Ausgelassen
alberten die Schwestern herum, als Julie plötzlich aufschrie und
die Bremse ihres kleines Automobiles durch trat. Der Wagen kam zum Stehen,
gerade noch vor diesem seltsamen Wesen mit den purpurfarbenen Augen und
der grünlich schimmernden Haut. Auch Zoey entwich ein leiser Schrei.
Hastig stiegen sie aus dem Auto und rannten und rannten. Sie mußten
schon ein paar Hundert Meter gelaufen sein, doch das Wesen hatte sich
hartnäckig an ihre Fersen geheftet und drohte sie fast einzuholen.
Es gab eigenartige Laute von sich und ab und zu, als sie sich umdrehten,
leuchteten dessen Augen gefährlich grell auf. Die Angst stieg ihnen
in alle Gliedmaßen, ließ die beiden mit aller Kraft weiter
rennen. Ihre roten Mähnen wehten wie Fahnen im warmen Wind. Sie
vernahmen jene Stimme, die ihnen wieder so vertraut vor kam. "Ihr
müßt ihn besiegen.", sagte diese immer und immer wieder.
Sie machte ihnen Mut, daß sie die Stärksten der Marron-Hexen
seien und sich nicht zu fürchten bräuchten. Doch wer glaubte
das schon einer unsichtbaren Stimme, wenn die eigenen Kräfte noch
nicht ausgereift waren und einem das Erste Mal so ein schrecklich anmutendes
Monster vor den Augen stand und seine Zähne gefährlich zu einem
schemenhaften Grinsen fletschte? Sie liefen nun schneller um einen größeren
Vorsprung heraus zu holen und plötzlich blieben die Frauen stehen
und drehten sich zu diesem Dämonen um, beide im selben Moment, als
hätten sie sich in ihrem Geiste abgesprochen. Auf ihren Gesichtern
lag ein selbstbewußter Ausdruck, sie hielten ihre nun hell leuchtenden
Ringe aneinander und holten ihre Zettelchen aus den Taschen. Des Tehuterons
Augen glühten in einem hellen Rot, auch er blieb stehen und kam
langsam auf die beiden zu. Er war sich seiner Sache schon sicher, immer
wieder brüllte er merkwürdige Laute zu ihnen herüber.
Um ihre Ringe hatte sich ein weiter, hoher Schein gebildet und deutlich
mit lauter Stimme lasen sie den Zauberspruch aus dem Buch des Wissens
vor: "Du Dämon des Todes kommst ganz allein, wir Schwestern
zwein, ..." das Wesen fing an sich zu winden als wollte es seiner
eigenen Haut entsteigen. Immer wieder brüllte es und schrie vor
Schmerz. Schneller kam es auf sie zu gerannt und war ihnen schon gefährlich
nahe, doch die beiden ließen sich nicht beirren, schlossen die
Augen und fuhren fort: "... werden dich auf ewig verbannen, du sollst
keine Seele mehr fangen, gib sie frei in die Welt zurück, dann wirst
du verenden Stück für Stück." Und auf einmal war
der Dämon umgeben von einem blendenden Licht. Sie konnten kaum noch
seine dunklen Konturen erkennen und dann, als hätte es ihn nie gegeben,
war er fort. Besiegt von den Stärksten der Marron-Hexen. Die beiden
lächelten sich an, warfen sich einander in die Arme und fühlten
sich wie neu geboren. Das Glühen ihrer Ringe erlosch langsam und
Tränen der Freude stiegen ihnen in die Augen. Langsam, ohne Eile,
gingen sie zu dem einsam zwischen den Bäumen stehenden Auto zurück
und fuhren wieder in Richtung Heimat. Vergessen war die Angst, die noch
vor ein paar Minuten ihre Sinne betäubt hatte. In der kleinen Wohnung
angekommen, wollten sie sich noch einmal mit dem Buch des Wissens befassen,
doch es lag schon aufgeschlagen auf dem Glastisch als versuchte es ihnen
etwas mitzuteilen. Die letzte Seite, auf der ihre Mutter Brejahna von
ihnen geschrieben hatte war verschwunden, nur noch weißes Papier
beherrschte jenes Blatt. "
Der Eintrag ist weg.", stellte Julie fest. "Was hat das zu
bedeuten?" Zoey zuckte mit den Schultern, doch die Schwestern sollten
es noch fr üh
genug heraus finden.
Wochen vergingen in denen sie ihre Berufe ernst genommen
und sich in ihrer Freizeit mit den eigenen Kräften befaßt hatten. Zoey
hatte es gelernt, mit Hilfe des Zauberbuches, Dinge mit dem bloßen
Gedanken daran erscheinen zu lassen, diese Macht stellte sich als ungeheuer
nützlich heraus. Julie wollte sich in der Macht der Zeit versuchen
und schaffte es schon einige Male diese still stehen zu lassen, daß nur
sie und ihre Schwester sich frei bewegen konnten, doch noch immer hatte
es nicht auf Anhieb geklappt. Irgend etwas mußte sie übersehen
haben. Wieder und wieder las sie die Anweisungen im Buch des Wissens
durch und versuchte es erneut. In den Nächten hatten sie gemeinsame
Visionen, in denen sie eine Frau erkannten, mit ebenso wallendem roten
Haar wie das Ihre. Sie konnten sich jedoch keinen rechten Reim darauf
bilden. Manchmal saßen sie beisammen und rätselten über
den Ursprung ihrer Vision.
Eines Tages saß Zoey vor ihrem Computer in der Redaktion der Springfield
Gazette und tippte gerade an einem Exklusivbeitrag als viele wirre Bilder
durch ihren Kopf zogen und sie sich kurzzeitig an einem anderen Ort befand.
Sie stand vor einem alten Haus dessen äußere Wände mit
dunkelblauen Brettern verkleidet waren und in einem der weißen
Fenster spiegelte sich ihr Körper, jedoch in der Gestalt der mysteriösen
Frau aus ihren Visionen. Auf dem ebenfalls dunkelblauen Briefkasten erkannte
sie die Adresse: 69 Evington Road und dann fand sie sich plötzlich
in dem verlassenen Büro wieder. Einige Zeit grübelte sie über
jenes Haus nach, daß sie gesehen und sogar auf eine eigenartige
Weise gespürt hatte. Sie zog aus einer der Schubladen einen Stadtplan
hervor und suchte nach der entsprechenden Straße, tatsächlich
befand sie sich in Springfield. Entschlossen von dem Gedanken dieses
Gebäude zu finden, machte sie sich auf den Weg in das entsprechende
Viertel. Es dauerte eine Weile bis sie sich durch den Berufsverkehr gekämpft
und das gesuchte Haus gefunden hatte. Es lag still da. Sie erkannte den
Briefkasten auf dessen Seiten die Adresse in weißen Lettern stand.
Unschlüssig was sie tun sollte, stieg sie aus ihrem Wagen, schlenderte
die paar Stufen empor und stand anschließend vor der weiß gestrichenen
Eingangstür. Sie bückte sich näher an den Klingelknopf
heran um das Namensschild darüber zu erkennen. Marron, laß sie
leise. Erschrocken stolperte sie ein paar Schritte rückwärts
und wäre beinah die Treppe hinunter gestürzt, doch eine Frau
stützte sie. "
Vorsicht.", sagte diese und lächelte sie aus ihren samtiggrünen
Augen an, die plötzlich zu glühen begannen. Zoey rannte sie
fast um als sie geschockt und fassungslos zu ihrem Auto zurück lief,
einstieg und hastig davon fuhr. Die Frau mit dem roten, lockigen Haar,
das sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, blickte ihr
erstaunt nach, auch sie sah das Glühen in Zoeys Augen, sie schlußfolgerte,
daß es ebenfalls eine Marron sein mußte. Vielleicht war sie
sogar eine ihrer Zwillingstöchter. Das hoffte sie jedenfalls, nachdem
ihr Körper wieder in das alte Haus zurück gekehrt war, in dem
sie vor einundzwanzig Jahren lebte. Sie ahnte, daß nur ihre Töchter
den Dämonen bekämpft haben konnten, der ihre und anderer Seelen
der Marrons verschlungen und ihre Körper verbannt hatte. Doch nun,
nach dem Tod Tehuterons war sie wieder frei, wie es der Zauberspruch
vorher sagte. So sehr wünschte Brejahna sich, ihre Töchter
wieder im Arm zu halten und ihnen die Liebe zu geben, die sie ihnen all
die Jahre nicht hatte geben können.
Zoey jedoch fuhr angespannt nach Hause. Julie war gerade dabei
für sie zu Abend zu kochen als ihre Schwester sich ihr um den Hals
warf. "
Ich habe Mum gesehen.", schluchzte sie nur und weinte dicke Tränen. "Ich
habe sie gesehen. Sie lebt.", gab sie immer wieder von sich und
Julie konnte nichts anderes tun als sie fest an sich zu drücken
und mit leisen Worten zu beruhigen.
Fortsetzung folgt |
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