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Die Hexen von Castaway
(3) Ein bißchen Liebe
© by Sandra Kuhn
Die Nacht schlängelte sich düster und geheimnisvoll
um der hohen Bäume Stämme und deren dunkel schimmernden, belaubten
Kronen. Ein Hauch von Romantik legte sich über die verträumt
wirkende Silhouette Springfields, mit seinen Hochhäusern, Märkten
und Kirchen, den am Tage überlaufenen Bahn- und Busstationen und
den steilen Hügeln, die es umgaben.
Wie eingesperrt mochte es für den Besucher wirken, der nichts von
der sonnigen Mentalität der Einwohner wusste. Ein Netz in sich verwundener
Straßen von denen jede einen Ausläufer in die benachbarten
Dörfer bildete und einzelne in grüne Felder mündeten.
So auch die Evington Road, deren Ende aus einem kleinen Wäldchen
bestand. Diese Straße war es, die den höchsten Punkt Springfields
und der umliegenden Dörfer auf einem der Hügel fand; verlassen
ragte an jener Stelle ein Haus mit seinen vielen Türmchen in die
Höhe.
Lange Zeit blieb es ohne Besitzer, doch keiner der Makler, der
es versucht hatte, konnte in das Innere treten. Als wäre es mit
einem bösen Fluch belegt, verwehrte es in den vielen Jahren jedem
Neugierigen den Zutritt. Doch seit ein paar Wochen leuchteten die großen
Fenster wieder hell von dem Schein des Inneren und den kleinen verwilderten
Garten hatten fleißige Hände erneut zu einem der Schönsten
der Umgebung gezaubert. Reges Treiben herrschte wieder in dem Häuschen
und s ämtliche Vermutungen über
jenes waren vergessen.
Der Klang der weit entfernten Kirchenglocke wurde
vom zornigen Wind zu ihnen herüber getragen, sie schlug Mitternacht. Langsam, ohne
Hast, setzten sie einen ihrer nackten Füße vor den anderen,
den breiten Hügel hinauf. Von weitem konnten sie bereits die schmalen,
hohen Türmchen erkennen, die sich schwarz vor dem tiefroten Himmel
erhoben. Sie bemerkten das Licht in einem der oberen Fenster, das leicht
zu flackern schien als würde es des Windes peitschen fürchten.
Feuchte Kälte barg sich unter ihren Fußsohlen, die sich mit
jedem Schritt in lehmige Erde tauchten. Das hohe Gras kitzelte ihre Beine
und ließ sie erschauern. Doch irgendetwas in ihnen drängte
zu dem tanzenden Licht in einer der oberen Kammern des Hauses. Mit einem
Mal zogen dicke Gewitterwolken entlang des Horizontes und sandten winzige
Wassertröpfchen zur Erde hinab. Wenig später goss es in breiten
Strömen, die hart auf den weichen Boden prasselten und tiefe Furchen
voll erdigem Wasser hinterließen. Sie hielten sich bei den Händen;
mit der verbleibenden Hand schützte jede ihre Augen vor der aufkommenden
Nässe. Noch immer flackerte das helle Licht im oberen Teil des Hauses,
das nur wenige Schritte entfernt schien. Wärme durchflutete ihre
Herzen und all jene Sorgen, die sich im Laufe der Wochen angestaut hatten,
waren vergessen. Immer kälter wurde die Erde an ihren Füßen.
Sie streckten die Arme nach dem dunkel und geheimnisvoll daliegenden
Gebäude aus, doch sie kamen ihm einfach nicht näher. Der Wille
war stark, wohl stärker als je zuvor, doch es reichte nicht. Keinen
Zentimeter bewegten sie sich weiter an das Objekt heran. Plötzlich
erlosch das gepeinigte Licht im Obergeschoß, dunkle Stille umhüllte
ihre durchnässten Körper. Unheilvoll schien das Land nun, als
barg es düstere Geheimnisse vor ihnen. Noch einmal vernahmen sie
das Läuten der Kirchenglocke, sie schlug erneut Mitternacht. Fragend
standen sie sich gegenüber, ihre beiden Augen glühten in dem
grellen Rosa, wie sie es bei ihrem ersten Treffen ebenfalls getan hatten.
Langsam führten sie ihre Handflächen beider Händer aneinander
und erzeugten das rituelle Symbol der Magie: den magischen Kreis. Zwischen
ihnen schoß, wie aus dem Nichts, eine hohe, gelbe Flamme in die
Höhe und flackerte in einem zuckenden Schein. Der Wind ließ sie
tanzen, spielte mit dem hellen Licht. Wärme legte sich auf ihre
Haut, durchfuhr ihre Glieder und ermutigte ihre Seelen weiter zu suchen,
nach ihrer Bestimmung und dem rechten Weg. Genau wie es der Flamme in
dem Haus ergangen war, erstarb sie, als sich ihre Hände voneinander
lösten und sie wieder in der kalten, dunklen Einsamkeit auf dem
Hügel standen. Doch sie waren nicht allein, bewacht von dem Auge
des Guten schritten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Die
Sonne wand ihre warmen Strahlen durch die schmalen Schlitze der
Jalousie am Fenster und legte einen gelben Schein auf Julies Gesicht.
Ihr Atem ging langsam und nur manchmal zuckten leicht ihrer Augenlider.
Als würde sie das warme Licht auf ihrer Haut kitzeln, öffnete
sie, nur einen kleinen Spalt, ihre Augen. Die Geschehnisse des Abends
durchwanderten ihre Gedanken. Neben ihr lag, in einem ruhigen, tiefen
Schlaf der Körper, den sie in der Nacht geliebt hatte. Sie konnte
noch immer seine feurigen Küsse auf ihrer Haut spüren, die
sie glühen ließ. Seine großen, starken Hände, die
im zärtlichen Spiel ihren Körper liebkost hatten. Seine harte
Männlichkeit war tief in sie versunken gewesen und hatte sie fast
in den Wahnsinn getrieben. Sie konnte seine Leidenschaft noch in ihrem
Körper fühlen, mit der er sich auf und ab bewegt hatte, bis
sie ihre Beine, die sie um seine schmalen Hüften schlang, nicht
mehr spürte, bis ihre beider Körper in dem wohlig warmen Rausch
nieder gesunken waren und, eng aneinander liegend, sich der Besinnungslosigkeit
ergaben.
Sie konnte es noch fühlen, seine Bewegungen, sein warmer Atem und
die dunkelbraunen Augen, die sie geheimnisvoll anfunkelten. Sie versuchte
sich zu erinnern, wann sie einmal solche berauschenden Gefühle erlebt
hatte, doch sie kam schnell zu dem Schluss, dass sie bisher noch nie
diese wilde Leidenschaft gespürt hatte, die sie verrückt werden
ließ, bis ihr Körper sich aufzulösen schien und sie in
völlige Ekstase einmummte. Ein vorsichtiges Lächeln umspielte
ihre, von den wilden Küssen, noch roten Lippen als sie sanft mit
den Fingerspitzen über seine weiche Haut strich. Die stacheligen
Borsten des Drei-Tage-Bartes kitzelte sie als er die Augen öffnete
und von neuem begann ihren Körper zu liebkosen. Zärtlich, mit
voller Hingabe, wanderte seine Zunge ihren Körper hinab und vergrub
sich in ihrem feuchten Schoß. Sie krallte die Fingernägel
in den Bettbezug und seufzte leise als die Erregung ihr die Sinne vernebelte.
Sie fühlte ihn in sich, spürte sein zügelloses Temperament.
Manchmal fanden sich ihre Lippen zu einem sanften Kuss; sie schlang die
Beine um seinen gierigen Körper, so dass er noch tiefer vorstoßen
konnte und grub ihre Finger in sein warmes Fleisch. Ab und zu entwich
ihren Lippen ein, fast kaum wahrnehmbarer Laut, der von der völligen
Ekstase herrührte. Er bewegte sich immer schneller in ihr; ihre
Körper verschmolzen als er sich aufbäumte und neben ihr in
die Kissen sank. Beide atmeten schwer und ihre Körper glühten
vor Leidenschaft. Er drehte sich Julie zu und streichelte zärtlich
ihr Gesicht. "
Ich muß gehen.", flüsterte er ihr zu. " Warum?" "
Meine Aufgabe ist getan.", sagte er leise. Sie stützte sich
auf den Ellbogen und blickte ihn fragend an, dass ihre funkelnden, grünen
Augen sich in seinen verbargen. " Deine Aufgabe? Was meinst du damit?" "
Du wirst es wissen, sobald die Zeit gekommen ist." Mit diesen Worten
erhob er sich mit einer Leichtigkeit vom Bett, kniete noch einmal
vor ihr nieder und gab ihr einen langen, sanften Kuss. "
Wir sehen uns wieder." Mit raschen Bewegungen zog er sich an und
verließ das Apartment. Nachdem er die Tür ins Schloss gezogen
hatte, sah er ein letztes Mal zu ihr zurück als könnten seine
Augen sie durch das alte, sperrige Holz erblicken, und seine Hand berührte
die unebene Oberfläche. Plötzlich war er an derselben Stelle,
an der er eben noch gestanden hatte, verschwunden. Ins Nichts. Hinterließ nur
seinen Wohlduftenden Geruch, der sie irgendwie an Rosmarin erinnert
hatte. Doch Julie sollte ihn wieder sehen, denn seine Augen bewachten
sie.
Noch lange Zeit lag sie wach in ihrem Bett und dachte über seine
Worte nach, aber sie konnte sich einfach keinen Reim darauf bilden und
tadelte ihn schließlich als einen dieser Typen, der es nur auf
eine heiße Nacht abgesehen hatte. Sie war traurig über jenen
Ausgang, so gern hätte sie seine Wärme nochmals um sich gespürt,
sein schönes Lächeln, das seine weißen Zähne zeigte
und die dunklen Augen, in denen sie sich verlieren konnte, doch es gab
keine Zukunft für sie beide, dachte Julie, und versuchte sich von
diesen Schulmädchenschmachtereien, wie sie es nannte, zu lösen.
Sie stand, mit bedachten Bewegungen von den weichen, wärmenden Stoffen,
die sie umhüllten, auf und suchte ihre Kleidung, die im gesamten
Zimmer verstreut lag, zusammen. Sie tapste unbeholfen zum Badezimmer
und gönnte sich eine kalte Dusche, denn sie musste Klarheit in ihre
Gedanken bringen. Jetzt, als Julie unter dem kühlenden Wasserstrahl
stand, fiel ihr ein, dass sie nicht einmal seinen Namen kannte. Das war
nicht typisch für sie, dachte Julie, denn in der vergangenen Nacht
war ihr nur eines wichtig gewesen, nicht aber, wer er war. Genauso gut
hätte er ein böser Dämon sein können, der ihr nach
dem Leben trachtete oder ihre Macht an sich reißen wollte.
Sie schüttelte unbewusst den Kopf, wobei ihr nasses Haar herum wirbelte.
Sie hatte sich zu intensiv mit dem Reich der Schattenwesen beschäftigt,
dass sie nun mittlerweile begann in jedem Fremden ein böses Wesen
zu sehen, schließlich war er nur ein netter Typ, den sie gestern
Abend in dem Tanzclub kennen gelernt hatte. Das musste aufhören,
dachte sie, sie sollte endlich wieder anfangen zu leben! Von weitem hörte
Julie, wie die Tür des Apartments aufgeschlossen wurde. Sie drehte
ruckartig den verchromten Wasserhahn ab, lauschte den Geräuschen
und steckte den Kopf aus der Badezimmertür als sie Zoeys Stimme
vernahm, die ihren Namen rief. Ihre Schwester sah ebenso verwirrt
aus, wie sie selbst. "
Brejahna hat mich gerufen!", stieß Zoey hervor, "Ich
hatte eine seltsame Vision, sie sagte, es sei etwas geschehen." "
Dann müssen wir sie aufsuchen." Julie beeilte sich ihre Kleidung über
zu ziehen, dass sich mit nassem Körper jedoch als schwierig heraus
stellte. Ihre Lippen waren noch immer gerötet von seinen heißen
Küssen und in ihrem Leib ebbten seine Bewegungen nach. Zoey hatte
es sofort bemerkt, doch sie überlegte sich schnell, dass jetzt nicht
der richtige Moment sei, ihre Schwester darauf anzusprechen. Stattdessen
ignorierte sie die Anzeichen. Schließlich konnte Julie tun, was
sie wollte. Aber eigentlich war es nicht das gewesen, dass sie sich gewünscht
hatte. Sie versuchte sich an ihre Worte zu erinnern als sie damals
vom Jahrmarkt dem Sonnenuntergang entgegen liefen. Doch es war
im Augenblick wichtiger herauszufinden, wovor ihre Mutter sie warnen
wollte.
Zoey
und Julie standen am Fuße des Hügels und spähten
zu dem einsam daliegenden Haus hinauf. Die Sonne hatte sich unterdessen
hinter den aufkommenden Wolken versteckt als fürchte sie die Zusammenkunft
der Hexen. Fade leuchtete ihr Licht durch den grauen, bedeckten Himmel,
ein leichter Wind fuhr um ihre Glieder und ließ die beiden, in
ihren luftigen Sommerkleidchen, frösteln. Langsam trabten sie den
körnigen, lehmigen Weg hinauf, den Blick nicht einen einzigen Moment
von dem besagten Haus abgewandt. Die blaue Bretterwand des Dreistöckigen
Gebäudes bildete einen wahren Kontrast zu dem weißen Gartenzäunchen,
das jenes umschloss. Einige der obersten Fenster bestanden aus farbigem
Glas und erinnerten an, die mit Zeichnungen versehenen, Glasscheiben
der Kirchen. Die Eingangstür schien die zweiflügelige Eichentür
zu sein, die, mit zahlreichen Fresken geschmückt, den etwa zwei
Meter langen Vorbau abschloss. Vor einigen großen Fenstern waren
hölzerne Klappen angebracht, die die Scheiben vor Wind und Wetter
schützten und ungebetenen Besuchern den Einblick verwehren konnten.
Der viereckige Grundriss des Bauwerkes machte es möglich, dass jede
Kante in eine der vier Himmelsrichtungen zeigte, ebenso das spitz zulaufende,
dunkelgraue Schieferdach auf dem je ein kleiner Turm in eine andere Richtung
wies. Die kleinen Fenstervorsprünge waren von verzierten, schmiedeeisernen
Geländern umrahmt und gaben dem Ganzen einen Hauch des Mittelalterlichen.
Kein
Wort wurde gesprochen, da sie allen Geräuschen rings um sie
lauschten und versuchten sich auf unbekannte zu konzentrieren, doch alles
wirkte normal und ruhig, nichts merkwürdiges war zu erkennen. Es
dauerte nicht lang bis sie vor den Stufen angekommen waren, die zum Eingang
hinauf führten. Zoey bemerkte wieder den Briefkasten, der nun im
Schutze eines hohen, vollen Baumes an anderer Stelle sich befand. Noch
bevor sie den kleinen, silbernen Klingelknopf mit der Drachenfigur drücken
konnten, öffnete sich zaghaft die schwere, große Holztür
und eine Frau im mittleren Alter mit rotem Haar betrat die Türschwelle.
Ein scheues Lächeln beherrschte ihre sanften Gesichtszüge.
Eine Weile standen die Drei sich stumm gegenüber, ohne dass ihnen
eine Bewegung entwich. Ihre Mutter begann als Erste mit schmeichelnder,
warmer Stimme: "
Julie, Zoey, wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet." Eine
Träne bahnte sich ihren Weg über die pfirsichfarbene Haut.
Sie kam einen Schritt näher, auch die Schwestern rückten näher
an Brejahna heran und nahmen sich gegenseitig in die Arme. Da standen
sie nun, nach einundzwanzig Jahren vereint, einander haltend und mit
vor Freude tränentrüben Augen.
Brejahna bat ihre Töchter einzutreten. Die beiden bestaunten kurz
die vielen Fresken in dem alten Holz, die wohl Rituale und einzigartige
Schattenwesen darstellen sollten. Im Inneren konnten sie vier weitere
Stufen erkennen, die sie zögernd hinauf gingen. Vor ihnen bot sich
eine zweiflügelige Schwingtür, ebenso mit Fresken geschmückt
und mit eingesetzten farbigen Glasscheiben, die spärliches Licht
in die kleine Vorhalle sandten. Julie drückte vorsichtig gegen einen
der Holzflügel und, erstaunt von deren Leichtigkeit, stieß sie
jenen auf. Die drei Frauen betraten nun einen weit führenden Raum,
der von hellem Licht der großen Fenster, durchflutet wurde. Brejahna
eilte voraus. "
Das war vor ungefähr einhundert Jahren eine Art Gesellschaftsraum,
in dem die Feste statt fanden und unsere Vorfahren sich amüsiert
hatten." Tatsächlich stand in einer Ecke ein alter Flügel
und zahlreiche großflächige Spiegel mit goldenen Rahmen thronten
an den Wänden. "
Wie lange befindet sich dieses Haus in unserer Familie?", wollte
Julie wissen. "
Oh, seit vielen Jahrhunderten, nachdem die Burg Castaway zerstört
wurde, mussten sie sich ein anderes geeignetes Gebäude suchen, dass
groß genug war und sich ebenfalls an einem magischen Ort befand.",
gab ihre Mutter zurück. "
Ist das ein magischer Ort?", fragte Zoey ungläubig, den Kopf
in den Nacken legend. "
Sicher. Hier treffen die vier Himmelsrichtungen aufeinander. Wir
stehen auf dem Höchsten Punkt im Umkreis von Tausend Kilometern
und sind das Zentrum von dem alles ausgeht. Aber das möchte ich
euch später erklären. Zunächst müsst ihr den Rest
vom Haus sehen. Wusstet ihr, dass es seit hunderten von Jahren einen
geheimnisvollen Namen trägt?" Brejahnas Augen funkelten als
sie erzählte, "Die Einwohner nannten es das Haus mit dem eigenen
Willen." "
Hat es denn einen eigenen Willen?", spottete Julie. "
Oh ja, aber das werdet ihr noch früh genug herausfinden." Sie
ging weiter und ihre Töchter folgten ihr. Im hinteren Teil des großen
Raumes befand sich eine schmale, hölzerne Treppe, die in die erste
Etage hinauf führte. Ein langer Gang tat sich vor ihnen auf, an
dessen Ende ein großes Fenster reichlich Licht spendete. Links
und rechts entlang des Flures, konnten sie die Rahmen von jeweils sieben
Türen erkennen. "
Hier befinden sich die Schlafgemächer und Badezimmer." Sie
stiegen die Treppe weiter aufwärts und gelangten schließlich
an einen rötlich schimmernden Eingang, auf deren Oberfläche
etwas in lateinischer Schrift eingraviert war. "
Was bedeutet diese Inschrift?" Zoey musterte kurz ihre Mutter, die
sofort auf ihre Frage antwortete: " Tretet ein, deren Herzen rein und gut sei!" "
Ah, das soll also das Böse fern halten.", schlussfolgerte Zoey. "
Das stimmt." Brejahna öffnete die schwere Tür.
Ihnen bot sich ein Anblick, an den sie in ihren kühnsten Träumen
nicht gedacht hätten. Ein großer, dunkel gehaltener Raum mit
einzelnen Nischen, einem großen Altar, aus schwarzem Marmor, in
der Mitte, um den ein runder Kreis von hohen, dicken Kerzen gebildet
wurde. In den vier Nischen erkannten sie enge Treppen, die wahrscheinlich
zu den Türmchen hinauf führten. Die Holzwände wiesen einige
Intarsien, Fresken und bunte Malereien auf, die das Zimmer kleiner wirken
ließen. Hier und da standen kunstvoll geschnitzte Stützpfeiler,
auf einer erkannte Julie eine Burg, die sicherlich Castaway darstellte. "
Das ist unsere Familiengeschichte.", sagte Brejahna mit weit ausholender
Bewegung. Sie ging auf den Altar zu und zeigte auf eine ausgesparte
Stelle, die wahrlich kahl wirkte. "
Hier lag seit Jahrhunderten das Buch des Wissens, bis es von Tehuteron
gestohlen und verbrannt wurde.", in ihrer Stimme klang Traurigkeit
mit, Zoey und Julie meinten sie weinen zu sehen. "
Das Buch wurde nicht verbrannt!", entwich es Julie. Ihrer Mutter
blickte auf und tatsächlich hatte sie Tränen in den Augen. "
Es ist bei uns.", fuhr Julie fort, "Wir hatten es auf einer
Ausstellung entdeckt und wenig später lag es auf dem Tisch unseres
Apartments." Ein Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht ihrer
Mutter. " Das Buch ist nicht verbrannt?" "
Nein." Sie ging auf ihre Töchter zu und nahm beide erneut in
die Arme. "
Ich bitte euch, zieht zu mir, es gibt genug Platz und so viel,
dass ich euch zeigen und erzählen möchte. Bitte." Mit
flehendem Blick starrte sie den beiden in die Augen und die aller drei
begannen nach einer Weile zu glühen. "Uns ist sehr viel Zeit
verloren gegangen, lasst uns die kommende zusammen verbringen." Die
beiden Schwestern willigten rasch ein und freuten sich wie kleine
Kinder, nun endlich eine wahre Familie zu sein. "
Ich möchte euch noch etwas zeigen." Sie stiegen die Treppe
wieder hinab zu dem langen Flur und folgten ihrer Mutter zu einer der
vordersten Türen, sie öffnete diese und schob beide behutsam
hinein. "
Das war euer Zimmer.", teilte sie ihnen freudestrahlend mit. Julie
ging als erste auf eine der zwei Wiegen zu und schaukelte sie bedächtig
hin und her. "
Ich erinnere mich daran, ganz schwach nur, aber als du uns früher
geschaukelt hast, schriebst du dabei etwas in ein sehr dickes Buch. Damals
roch das ganze Haus eigenartig aber wohltuend." Sie stutzte. "
Das ist eine lange Geschichte!", sagte ihre Mutter mit sanfter Stimme.
Zoey betrachtete den hellen Raum. Babyspielsachen lagen auf dem
Boden, eine Packung Windeln stapelte sich an der einen Seite des
Wickelschrankes. "
Das werden wir wohl alles nicht mehr benötigen.", klagte sie. "
Oh doch, denn bald wird eine neue Marron das Licht der Welt erblicken." Brejahnas
Augen glitzerten in dem hellen Licht. Die Schwestern blickten sie mit
großen, fragenden Augen an. "
Wer...?", doch ihre Mutter unterbrach Julie und ging gemächlich
auf sie zu. "
Du, wirst im nächsten Frühling eine Tochter gebären. Ihr
Herz wird das Reinste aller Generationen sein und uns viel Freude bereiten." Julie
schüttelte den Kopf. "
Nein, du musst dich irren.", sagte sie leise. "
Ich irre mich nicht." Sie nahm ihre Tochter in den Arm, "Diese
Nacht verbrachtest du mit einem Mann, der neues Leben in dich gesetzt
hat."
Julie wehrte ab. "Nein Mutter, ich nehme seit Jahren Hormone, die
mich vor einer Schwangerschaft schützen." "
Keine Hormone der Welt können einen Hüter der guten Seelen
daran hindern neues Leben zu schaffen. Es wird schon bald eine
vierte Hexe geben." "
Was ist ein Hüter der guten Seelen?", fragte Zoey, ihre Schwester
beobachtend. "
Sie schützen uns vor dem Bösen und schenken uns Kinder, denn
nur von einem der Ihren kann eine Marron schwanger werden und sie
bestimmen wann es geschieht." "
Werden wir nie heiraten und eine glückliche Ehe führen können?",
fragte Julie verwirrt. "
Doch, das könnt ihr, doch eure Männer werden ausschließlich
Hüter sein. Mit ihnen ist es euch möglich euer Leben zu verbringen
und glücklich zu werden." "
Aber wie findet man sie? Laufen sie einfach so auf der Straße entlang?",
bohrte Zoey weiter. Brejahna begann zu lachen. "
Nein, so einfach ist das nun auch wieder nicht. Für jede von uns
gibt es einen Hüter, er wird sie einen Tages finden." "
Wo ist dann unser Vater?", Julie ergriff die Hand ihrer Mutter.
Brejahnas Lächeln verschwand blitzartig und ein trauriger Schleier
legte sich über ihr fröhliches Gesicht. "
Das ist eine andere Geschichte, die ich euch irgendwann erzählen
werde." "
Ich weiß nicht mal seinen Namen. Ich bekomme sein Kind und kenne
ihn nicht.", schluchzte Julie und verbarg ihr Gesicht an der Schulter
ihrer Mutter. "
Er wird wieder kommen, sobald es ihm möglich ist.", beruhigte
sie ihre Tochter und t ätschelte sanft ihren Rücken.
Die
Wochen vergingen, in denen sie damit beschäftigt waren, mit
der Hilfe ihrer Mutter, aus dem kleinen Dachapartment, in das große,
ansehnliche Haus in der 69 Evington Road zu ziehen.
Mittlerweile war es Herbst geworden, die hohen Laubbäume färbten
sich in ihr prächtigstes Gewand und die Luft hatte sich abgekühlt.
Der alte Mietvertrag war gekündigt und auch Julie hatte ihren Job
in der Anwaltskanzlei aufgegeben. Sie wollte endlich zu sich selbst finden
und sich ihrem, in sich heranwachsenden, Kind widmen. Überdies mochte
sie die Arbeit in der Kanzlei noch nie. Stattdessen ließ sie sich
von ihrer Mutter in die Kunst des Gärtnerns einweihen und verbrachte
viel Zeit damit, an dem alten Flügel im Wohnzimmer, das Spielen
zu erlernen. Stunden konnte sie allein damit zu bringen, die klaren,
reinen Töne zu hören, die sich mehr und mehr, unter ihren zarten
Fingern, in eine musikalische Szene verwandelten; während des Spielens
vergaß sie alles um sich und flüchtete in eine andere Welt,
in ferne Träume. Zoey hatte es sich nicht nehmen lassen, trotz all
der Vernunft geführten Reden ihrer Mutter von dem zukünftig
Vorbestimmten, weiterhin mit David auszugehen; er war, nach ihrer Meinung,
der perfekte Mann für sie. Schließlich gab Brejahna irgendwann
die Bemühungen auf, ihre Töchter für das Kommende vorzubereiten,
immerhin waren sie nun erwachsen und alt genug ihre eigenen Entscheidungen
zu treffen; das musste sie bald nach deren Einzug feststellen, dass sie
ganz gewiss keine kleinen Kinder mehr waren. So kam es auch, dass die
beiden Schwestern jede Samstagnacht nutzten um sich in dem nahe gelegenen
Tanzclub zu amüsieren. Die Abende in der Woche dagegen, wurden in
kleiner Runde verbracht, dicht um den Kamin gedrängt, auf den, aus
Weide geflochtenen, Sesseln, in dicke Decken eingehüllt und mit
einer Tasse heißer Schokolade, die zugleich ihre Hände wärmte.
Zumeist sprach man über die alten Zeiten, dem Erlebten jedes Einzelnen
wurde gespannt gelauscht und selbst die kleinste Bedeutung diskutiert;
so auch zu dieser späten Abendstunde, in der der Wind draußen
um das Haus wirbelte, in den Ästen der Bäume sein wildes Spiel
trieb und ein unheimliches Getöse zu hören war. Die alte Uhr
an der Wand, in frühen Zeiten aus reinem Silber gegossen und in
einem Mannshohen, hölzernen Schrank mit milchigen Glasscheiben befestigt,
schlug elf Uhr. Der metallene Schlag war bis in das abgelegenste Türmchen
des Hauses zu vernehmen und ermahnte die Frauen der bevorstehenden
Stunde.
Der Kalender in der Küche zeigte den dritten September.
Schallendes Gelächter hallte vom Wohnzimmer aus, durch die Räume. "
Ja, glaubt mir. In den Zeiten eurer Großmutter war es mit der Aufklärung
nicht weit her. Das musste man damals noch in eigener Praxis herausfinden.",
lächelte Brejahna. "
Du meinst ehrlich, sie hat gedacht, die Babys kämen vom Küssen?",
spottete Zoey. "
Ja." Auch Brejahna stimmte nun in das Gekicher mit ein, und ihr
Magen krümmte sich schmerzlich bei dem Gedanken daran. So lange
Zeit hatte sie dieses Gefühl, des unbeschwerten Lebens, nicht mehr
gespürt, viele Jahre versuchte sie es zu verdrängen. Seit dem
sie allein auf sich gestellt war, mit zwei Babys um die sie sich, mit
ihren damals jungen, zwanzig Jahren, zu kümmern hatte, ohne die
Hilfe ihres Geliebten, den sie jeden Moment ihres Daseins betrauerte.
Zu hart, hatte es das Leben mit ihr gemeint, doch schenkte es ihr auch
diese zwei wundervollen Töchter, die sie mehr liebte als alles andere
auf der Welt, die ihr wichtiger waren, wie ihr eigenes Leben und deren
Umgang sie jede Minute mehr zu schätzen wusste, denn sie brachten
ihr all die Freude, die sie sich in den vergangenen Zeiten so sehr gewünscht
hatte.
Wie die Schwestern, kam Brejahna ebenfalls an einem 29. Februar
in einer klaren Vollmondnacht in eben diesem Haus zur Welt. Alle
Marrons wurden
an jenem Datum geboren und nur bei Vollmond, das war eine Vorbestimmung,
die seither noch niemand entschlüsselt hatte. Dieser Tag stellte
etwas magischen dar, denn er war nur aller vier Jahre in den Kalendern
verzeichnet und in ihm lag eine tiefere Macht begründet, die bisher
keiner vermochte zu verstehen. Ihre Mutter, Ophelia Marron, starb früh.
Sie war unterwegs gewesen, um seltene Kräuter zu suchen und kehrte
nie wieder zurück, heute wusste Brejahna, dass sie einem Dämonen
zum Opfer gefallen war, der sie und ihre drei Schwestern zu Waisen machte
und sie, als jüngste, hatte kaum eine Erinnerung an ihre Mutter.
Nur aus Erzählungen ihrer Geschwister konnte sie sich im Laufe der
Zeit ein klares, und doch von Geheimnissen erschüttertes, Bild von
ihr schaffen. Einer alten Kohlezeichnung, die Ophelia als junge Frau
zeigte, hatte sie ihr damalig ganzes Interesse gewidmet und es wie ihren
Augapfel behütet. Es zierte nun, in einem schmucklosen, hölzernen
Rahmen, den Kaminsims. Auch ihre Schwestern waren es gewesen, die sie
in die Macht ihrer Zauberkräfte eingeführt und sie all jene
Dinge über Kräuter, Dämonen und die Gesellschaft gelehrt
hatten, Kleinigkeiten, die sie zu diesem Menschen machte, der sie heute
war. Früher, schien sie ein neugieriges, aufgewecktes Kind zu sein,
mit dem Trieb stets Neues zu entdecken, doch dies hatte sich zeitig gelegt.
Nach der ersten Begegnung mit einem Dornenbesetzten Veriodämonen,
als sie gerade neun Jahre alt war, änderte sich schlagartig ihr
Verhalten. Seitdem wirkte sie wie ein erschrecktes Kitz, das zu früh
dem Tode nahe gekommen war. Aber auch diese Zeit war vorüber gegangen
und sie entwickelte sich zu einer hübschen, jungen Frau, von vielen
Männern begehrt und bewundert. Doch sie hatte nur Augen für
Einen gehabt, den blondhaarigen, geheimnisvollen Mann, der zu bestimmten
Zeiten auftauchte und dann einfach wieder bis auf weiteres verschwand.
Er spielte nicht mit ihren jungfräulichen Gefühlen, so wie
es die anderen in ihrem Alter taten, nein, er war ihr Geheimnis. Laue
Abende verbrachten sie an dem nicht weit entfernten See, steckten die
Beine ins Wasser und planschten ausgelassen miteinander. Zwischen ihnen
war eine unsichtbare Macht, die ihr Herz fast zerriss als er sie wieder
verlassen musste, die sie dursten ließ nach seinen warmen Küssen
und seiner sanften, dunklen Stimme, mit der er ihren Namen rief. In einer
heißen Sommernacht machte er ihr das größte Geschenk
seiner Liebe, sein Leben. In jener Nacht liebten sie sich und ohne ihres
Wissens waren sie für immer verbunden, ihre Zuneigung füreinander
sollte nie erlöschen, auch der Tod konnte keinen der beiden von
seinem Versprechen der ewiglichen Liebe entbinden.
So liebte Brejahna ihn heute noch, fühlte seine weiche Haut, die
schmeichelnde Stimme und seine Stärke, die ihr so manches Mal das
Leben gerettet hatte.
Julie nestelte an den grünen Blättern der großen Zimmerpalme,
die neben ihrem Sessel stand. Sie schlang einen der schmalen langen Wedel
um ihren Zeigefinger und wickelte ihn in das saftige Grün, danach
ließ sie es wieder locker und widmete sich dem nächsten Blatt.
Zoey beobachtete ihre Schwester, die in ihren Gedanken versunken da saß.
Auch Brejahna hatte Julies Spiel bemerkt. " Du darfst dir keine Sorgen um ihn machen, Kleines." "
Mhh?", Julie blickte auf. "Was meinst du?" "
Du dachtest gerade über deinen Hüter nach, stimmt's?",
fuhr Brejahna fort. "
Ja, woher weißt du das?" "
Nun, ihr wisst noch nicht alles über die Gaben der Marron. Wir können
auch Gedanken lesen.", lächelte sie. "
Wirklich? Oh, das ist ja spitze. Wie lernt man das?", brachte Zoey
hervor. " Das ist ganz einfach, sobald die Zeit gekommen ist, werde ich es
euch lehren."
Julie betrachtete die elfenbeinfarbene Tasse in ihren Händen, auf
deren Boden sich braune kleine Ränder abzeichneten. "
Sein Name ist Maximus.", brach Brejahna schließlich die Stille.
Julie blickte sie fragend an. "Ich habe ihn in einer Vision gesehen.
Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, er wird wieder kommen."
Julie stand auf und schlug ihre wollene Decke zusammen. "
Ich werde zu Bett gehen, ich bin schrecklich müde." Sie gab
ihrer Schwester und anschließend ihrer Mutter einen Kuss auf die
Wange und verschwand die hölzerne Treppe hinauf. Die beiden hörten,
wie ihre Zimmertür ins Schloss fiel. "
Wie kann er nur so grausam zu ihr sein?", stellte Zoey ärgerlich
fest. "
Dafür kann er nichts." Ihre Tochter blickte sie fragend an. "Du
musst folgendes wissen. Die Hüter der guten Seelen, leben in einer
Art Zwischenwelt, man nennt sie Auge des Guten." " Auge des Guten?" "
Ja. Von Geburt an, sind ihre Seelen und die unseren verbunden.
Es ist als würde man sozusagen mit ihnen aufwachsen."
Zoey blickte verwirrt in den, vom Kerzenschein erhellten Raum,
und versuchte den Worten ihrer Mutter zu folgen. "Du meinst, wenn
wir sie dann treffen, haben wir das Gefühl als würden wir sie
schon unser ganzes Leben kennen?" "
Genau das meinte ich. In dieser Zwischenwelt sind sie unsere Beschützer,
unsere Schutzengel, wie manche auch sagen. Doch in dem Moment, wenn sie
auf die Erde kommen und einen ersten Nachkommen gezeugt haben, werden
sie sterblich. Sie haben zwar noch ihre Fähigkeiten, können
aber nicht mehr in ihre Zwischenwelt zurück." " Also wird er wiederkommen sobald das Baby auf der Welt ist?" "
Ja, vielleicht schon früher. Aber er wird kommen." " Warum ist er nicht bei ihr geblieben?" "
Das ist den Hütern eigentlich verboten. Sie dürfen nur für
einen Abend auf die Erde um einen Nachkommen zu zeugen oder um uns zu
beschützen. Aber der weitere Kontakt bevor das Baby geboren wurde,
ist ihnen untersagt. Viele brechen dieses Gesetz, weil sie sich
ebenso verliebt haben." "
Droht ihnen dann eine Strafe? Werden sie ausgeschlossen oder so ähnlich?" " Nein. Das nicht. Ich kenne die Strafen nicht. Aber ich glaube es
ist nichts Schwerwiegendes."
Beide saßen stumm nebeneinander und starrten in das kleine lodernde
Kaminfeuer, das sie wärmte. Zoeys Gedanken rasten. Fragen über
Fragen schwirrten durch ihren Kopf. "
Wie erkennt man solch einen Hüter?" "
Das ist ziemlich einfach. Wenn du ihn siehst, fühlst du sich sofort
von ihm angezogen und ihre Haut duftet nach Rosmarin." "
Nach Rosmarin?" Zoey blickte unbeeindruckt. "
Ja. Vielleicht sollten wir demnächst einen Ausflug machen. Wir könnten
meine Schwester Beduine und ihren Mann besuchen." Brejahna starrte
geradeaus und hing ihren Gedanken nach. "
Ist er ein Hüter der guten Seelen?" "
Ja, das ist er. Sie haben drei zauberhafte Töchter. Etwas jünger
als ihr. Vielleicht hilft es Julie, wenn sie ihre Tante und ihren
Onkel sieht." " Ja, das kann gut sein. Mum?" " Was ist Zoey?" "
Ich glaube, ich liebe David." Zoey warf ihr einen entschiedenen
Blick zu. Sie wusste nicht recht wie ihre Mutter reagieren würde
und begann von Neuem. "Vielleicht können wir ja auch mit einem
normalen Menschen glücklich werden."
Brejahna blickte müde und besorgt, sagte jedoch nichts. Sie wusste,
dass am Ende nur ein Hüter für ihre Tochter bestimmt war und
irgendwann würde die Zeit schon kommen, dass Zoey diese Tatsache
begriff. Doch vorerst würde sie nicht weiter versuchen ihre Tochter
zu drängen. Es war ihr Leben und es würde so oder so dem Lauf
der Geschichte ihrer Familie folgen.
Es war bereits dunkel im Haus,
die Uhr im Erdgeschoß hatte gerade
ein Uhr geschlagen als Zoey sich in das Zimmer ihrer Schwester schlich.
Ihre beiden Schlafgemächer lagen nebeneinander und sie konnte Julie
schluchzen hören. Auch jetzt, nachdem sie den silbernen Knauf in
ihrer Hand gedreht hatte und die Tür vorsichtig aufstieß,
hörte sie sie leise wimmern. Behutsam drückte sie die Tür
ins Schloss und tapste zaghaft zu dem Bett ihrer Schwester. Sie legte
einen Arm um sie und flüsterte ihren Namen. In dem Schein des Mondes,
der durch die spärlichen Gardinen fiel, konnte sie ihr verweintes
Gesicht erkennen und legte sich neben ihr unter die warme Bettdecke,
drückte sie eng an sich und streichelte ihr Haar. Julie kuschelte
sich an ihren Körper und schlummerte, im Arm ihrer Schwester, nach
kurzer Zeit ein.
Sie erwachten durch das leise Zwitschern der Vögel, deren Laute
durch das angelehnte Fenster zu ihnen drangen. Als Zoey die Augen aufstieß vernahm
sie den Geruch von frisch gebackenen Pfannkuchen und ein leises Knurren
stieß durch ihren Körper. Ihr Arm fühlte sich taub an
von dem Gewicht, das auf ihm lag. Julie hatte sich in der Nacht eng an
ihre Schwester geschmiegt. Dies war bereits die dritte Nacht in Folge
gewesen, in der Zoey in das Bett ihrer Schwester gekrochen war um sie
zu trösten. Nun begann auch Julie sich langsam zu regen. Ihr Atem
ging schneller und leise Murmellaute waren zu vernehmen. Dann hörte
Zoey Geklapper in der Küche und ihr Magen machte sich noch lauter
bemerkbar. "
Aufstehen.", hörte sie Brejahna rufen, deren Stimme von der
Küche her leicht gedämpft klang. Schließlich schlug Julie
die Augen auf, sie hob kurz den Kopf, ihre roten Locken waren zerzaust
von dem abendlichen hin und her wälzen, dann drückte sie ihrer
Schwester einen warmen Kuss auf die Wange. "
Danke Schwesterherz." Sie lächelten einander an und umarmten
sich lange, bevor sie ihre müden Knochen aus dem Bett hoben und
sich ins Badezimmer schleppten. Wenig später stiegen sie in ihren
Morgenmänteln und Stoffpantoffeln die Stufen hinab in die Küche
und begrüßten mit einem verschlafenen "Guten Morgen" ihre
Mutter, die ihnen zwei Teller mit leckeren Pfannkuchen vorsetzte, und
ließen sich auf die Stühle um den Holztisch fallen. Eine kleine Öllampe
thronte in der Mitte des Tisches. Brejahna nahm ebenfalls auf einem der
Stühle Platz und aß den dritten Teller bestückt mit dem
Rest an Omeletts.
Es war ein herrlich warmer Samstag im September an dem ihre Mutter
bereits eifrig Pläne für sie alle geschmiedet hatte.
Die Sonne warf einige Strahlen durch die Scheiben des Wintergartens
bis auf den buchefarbenen Frühstückstisch. Kleine Staubkörnchen
tanzten in dem Schein auf und ab. "
Wir fahren heute nach Sixthvalley, zu eurer Tante Beduine.", platzte
es aus Brejahna heraus und ein wohlig warmes Lächeln umspielte ihre
schmalen Lippen. Die Schwestern tauschten erstaunte Blicke, betrachteten
dann ihre Mutter, die mit einem sonnigen Schmunzeln ihre Pfannkuchen
verschlang. "
Wo liegt Sixthvalley?", wollte Zoey wissen. "
Etwa zwei Stunden Autofahrt entfernt.", sagte ihre Mutter nur.
Sie starrten auf ihre Teller, stocherten in ihrem Frühstück
herum und hingen eigenen Gedanken nach.
Zoey fragte sich, was das wohl für ein Gefühl wäre, wenn
sie bei ihrer Tante Beduine, ihrem Mann und deren Töchtern ankommen
würden, sie begrüßten und mit ihnen plauderten. Sie kannte
solch ein Familienleben nicht. Ihre Familie war jahrelang das Waisenhaus
gewesen, dort feierten sie ihren angeblichen Geburtstag, da bekam sie
auch Weihnachtsgeschenke, doch sie hatte nie diese Zuwendung erfahren,
die innerhalb einer intakten Familie herrschte. Wie würde es wohl
sein, Cousinen zu haben, fragte sie sich. Sie konnte sich nur zu genau
daran erinnern, wie oft sie als kleines Mädchen wach gelegen und
sich in den Schlaf geweint hatte, weil sie sich so allein fühlte.
Vielleicht konnte sie deshalb wie keine andere Julies Schmerz verstehen,
der auch ihre Schwester jede Nacht weinen ließ. Zoey hatte sich
damals gewünscht, es würde jemand zu ihr kommen um sie zu trösten,
doch es war niemand gekommen. Die übrigen Kinder hatten Angst vor
ihr gehabt, sie konnten nicht verstehen, warum sie zu Bäumen sprach,
zu Vögel oder Katzen. Sie hatte nie geahnt, dass sie die Gabe besaß mit
den Wesen der Natur zu sprechen. Auch die Pflegerinnen und Lehrer konnten
sich diese Angewohnheit nicht erklären und so hatten sie sie oft
sich selbst überlassen. Irgendwann hatte sie ihr Bedürfnis
unterdrückt, zu fragen wie es der alten Eiche auf dem Schulhof wohl
heute ging oder mit dem kleinen Finken darüber zu sprechen, wie
es war hoch oben zu fliegen, doch sie war dennoch dieses wundersame Mädchen
in den Augen der Kinder und Betreuer geblieben. Sie hatte seit dem die
fröhlichen Rufe der Eiche oder der kleinen getigerten Katze, die
sie zum Spielen ermuntern wollte, ignoriert und versank mehr und mehr
in sich, malte sich eine schönere Welt in ihren Gedanken aus, ihre
Traumwelt, in der sie von nun an lebte. Sie erinnerte sich, wie sie sich
weiter zurück zog und irgendwann aufhörte zu sprechen. Sie
war nie schlecht in der Schule gewesen, doch sie lernte und lernte verbissen
und schaffte ihren Abschluss am Ende mit Auszeichnung. Zwar hatte sie
nie wieder ein Wort gesprochen, doch nahm man es gelassen hin, da war
eben ein Kind, das gut in der Schule ist aber nicht sprach. Wen kümmerte
es, dachte sie. Aber eines Tages fühlte Zoey, dass es noch jemanden
außer ihr gab, sie konnte deren Gefühle vernehmen als wären
es ihre eigenen und manchmal hörte sie nachts eine Stimme, die sie
in den Schlaf sang, die sie ermutigte und ab und an zu einem innerlichen
Lachen brachte, die ihr half wieder zu erblühen. Sie legte ihren
traurigen Schleier ab und lebte immer seltener in ihrer erschaffenen
Traumwelt, sondern begann das Leben von nun an zu genießen. Zoey
glaubte sich zu erinnern, dass sie so glücklich war endlich aus
dem Waisenhaus in eine eigene Wohnung zu ziehen, sich einen Job bei einer
nahe liegenden Zeitung zu besorgen, die ihr Talent schnell zu fördern
begann. Doch irgendwann wollte die Stimme in ihr, dass sie nach
dem Menschen suchte, dessen Empfindungen sie seit Jahren teilte
und nach einigen Monaten
verzweifelter Suche fand sie jene Person und von da an begann ihr
Leben eigentlich erst lebenswert zu sein.
Sie blickte auf. In einer kurzen
Zeit hatte sie begonnen diese beiden
Menschen zu lieben, ja, mehr als sich selbst. Ihr Blick fiel auf
Brejahna, die sie mit Tränen in den Augen anstarrte, dicke Kullern rannen über
ihre zarte Haut. Sie stand auf und stürzte in Zoeys Arme und schluchzte.
Ja, sie standen einfach so da in dem Raum, sich umarmend. Zoey spürte
die zuckenden Bewegungen ihrer Mutter, konnte jedoch nicht so recht
verstehen, warum sie weinte. "
Ich habe nicht gewusst, dass du solch eine schreckliche Kindheit
erleben musstest.", brachte sie unter Schluchzen hervor. "Es
tut mir so leid." "
Aber es braucht dir nicht leid zu tun. Das ist alles lange vorbei.
Das ist Vergangenheit, was zählt, ist die Zukunft." Sie strich
Brejahna sanft über den Rücken und drückte sich enger
an sie. "Alles was zählt ist, dass wir uns lieben." Langsam
beruhigte sich ihre Mutter und entfernte sich einen Schritt von
ihrer Tochter, dann blickte sie beide nacheinander an, nahm sie
in die Arme
und sagte: "
Ich liebe euch, h ört
ihr, ich liebe euch von ganzem Herzen."
Die Fahrt über waren sie alle drei ruhig, nur das kleine Autoradio
dröhnte vor sich hin. Vermutlich waren sie noch durcheinander von
dem Zwischenfall am Morgen in der Küche. Zoey hatte es gut getan
die Worte ihrer Mutter zu hören, die ihnen ihre Gefühle offenbarte.
Ebenso war es Julie gegangen. Sie fühlte sich noch etwas matt, die
Augen brannten ihr unter der dunklen Sonnenbrille. Sie saß auf
der Rückbank, ihre Hände über dem schmalen Bauch gebreitet
und versuchte die Gedanken des Babys aufzufangen, sie war zwar erst in
der achten Woche laut ihrem Frauenarzt, doch hatte Brejahna ihr versichert,
dass sie es hören könnte, wenn sie sich nur genug konzentrierte.
Das war nicht einfach, sich nur auf das kleine Wesen in ihrem Bauch
zu konzentrieren, zumal ihr doch so viele Gedanken durch den Kopf
schwirrten. Wie ihre Mutter ihr geraten hatte, versuchte sie sich
in ihren
Atem zu
vertiefen, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, einatmen ...
Sie schlug erstarrt die Augen auf und riss sich die Sonnenbrille
von der Nase. "
Ich habe es gespürt.", schrie sie, ihre Stimme verhallte zu
einem fröhlichen Lachen. "Ich habe es wirklich gespürt.",
sagte sie nochmals leiser. Brejahna drehte sich vom Beifahrersitz um
und lächelte sie ebenfalls an, auch Zoey schmunzelte im Rückspiegel. "
Ja, Kleines. Ich sage dir, dieses Gefühl wird noch viel schöner,
je älter die Kleine in dir wird. Ihr wart richtige Plappermäuler.",
scherzte ihre Mutter. Die Schwestern stimmten in das Lachen Brejahnas
ein.
Die Fahrt führte sie an einem rötlich belaubten Wald vorbei,
dessen Äste zahlreicher Bäume bis auf die Straße reichten,
Brejahna entdeckte einen ausgewachsenen Feldhasen auf einem Grasbewachsenen
Hügel, der wohl ihren Blick gespürt hatte, denn er sah in ihre
Richtung, mit einer kurzen Handbewegung grüßte sie ihn. Sie
fuhren an einem riesigen See vorüber, an dessen Seiten etliche Schilfstängel
in die Höhe ragten. Auf der Oberfläche erkannten sie kleine
Tretboote, einige sahen aus wie riesige Schwäne, während andere
modern aus Edelstahl geschmiedet waren.
Die Straßen schlängelten sich in den Tälern entlang,
durchquerten zahlreiche Städte und Dörfer. "
Hier rechts.", sagte ihre Mutter als Zoey, den kleinen Wagen an
einer Kreuzung stoppte. "Jetzt ist es nicht mehr weit." Nach
etwa fünf Minuten kamen sie an eine kleine, mit Kies bedeckte, Straße.
Das Ortseingangsschild hatten sie bereits vor einer ganzen Weile hinter
sich gelassen. An einer weißen Hauswand war ein messingfarbenes
Schild mit der Aufschrift: Everdene Road befestigt. "
Siebenundzwanzig, Neunundzwanzig...", las Brejahna von den Häusern
oder Briefkästen ab, "Einunddreißig, hier ist es. Na
bitte, pünktlich zum Mittagessen.", stellte sie nach einem
kurzen Blick auf ihre Armbanduhr fest. Zoey parkte das Auto in der schmalen
Auffahrt, zu der angrenzenden Wiese. Sie stiegen aus dem Wagen und betrachteten
das altertümliche Haus. Die Fassade aus rotem Backstein, mit den
bunten Blumenkästen an den weiß gestrichenen Fenstern, hatte
nicht halb so viel von dem unheimlichen Aussehen wie das Ihre in Springfield.
Doch für die, die sie bis jetzt in Sixthvalley erspäht hatten,
wirkte es recht gemütlich. Ein großer Balkon in der ersten
Etage, ebenfalls mit weißen Brettern verkleidet, zog ihre Aufmerksamkeit
auf sich. Da oben hatten sie eben eine kleine Gestalt gesehen und jetzt
hörten sie eine Stimme, die jemandem etwas zu rief: "
Mama, Tante Brejahna ist da." Brejahna musste schmunzeln, wie lange
war es her, seitdem sie ihre Schwester das letzte Mal gesehen hatte, überlegte
sie. Das mochten wohl an die zwanzig Jahre gewesen sein. Sie konnte es
kaum erwarten ihre Nichten in die Arme zu schließen. Die Tür
im Hinterhof öffnete sich und eine Frau im mittleren Alter, wohl
so um die fünfzig, schätzte Julie, kam auf sie zu. Brejahna
ging ihr entgegen und beide nahmen sich schließlich in die Arme,
Freudentränen huschten über ihre Gesichter. Ihr Haar, zu einem
Knoten zusammengesteckt, war ebenfalls feuerrot. Beduine trug ein, vom
vielen waschen verblasstes, langes fliederfarbenes Kleid, dessen Saum
ihr bis zu den Knöcheln reichte. Der U-förmige Ausschnitt brachte
ihr mit Sommersprossen bedecktes Dekolleté zum Vorschein. Die
Schwestern gingen zögernd auf ihre Tante zu, diese beäugte
sie freudestrahlend und schlang ihre Arme um deren Hälse. "
Was für hübsche Töchter.", stieß sie hervor,
ihre Stimme klang ihnen ebenso vertraut wie der nach Rosmarin duftende
Geruch ihres Haares. Die beiden stellten sich ihr vor. "
Ach Kinder, das weiß ich doch längst.", scherzte sie
und fügte flüsternd hinzu: "Wir sind nicht umsonst Hexen." Lachend
führte sie die Drei ins Haus. Brejahna stürzte sich sofort
auf die drei Mädchen, die in dem weiten Flur, wie aufgestellt dastanden. "
Das sind Carolina, Isabelle und die Kleinste da ist Zara.", mit
einer Handbewegung zeigte sie auf jede von ihnen. Zoey vermutete, dass
Isabelle in ihrem Alter war, eine Hochgewachsene junge Frau, das lockige
rote Haar zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, mit ihren durchdringenden
grünen Augen und den schmalen Lippen erinnerte sie die beiden an
das gerahmte Bild ihrer Großmutter, das in Springfield über
dem Kaminsims prangte, ihre schmale Taille verbarg sie unter der kurzärmligen
mintgrünen Bluse aus Seide; unter dem schwarzen Minirock ragten
ihre schlanken geraden Beine wie Stelzen hervor. Sie hatte ein süß wirkendes
Gesicht, die schmale kurze Nase verlief in die peinlich genau gezupften
Augenbrauen, die Lippen schienen als wären sie von der gleichen
Farbe wie die unzähligen Sommersprossen auf Wangen und Stirn. "
Isabelle ist die Älteste, sie ist jetzt im Sommer zwanzig geworden,
Carolina ist sechzehn und Zara ist neun.", erzählte Beduine.
Sie umarmten sich alle als hätten sie sich lange nicht gesehen,
dabei war es für jeden ein neues Gefühl seine Verwandtschaft
zu begrüßen. "
Und wo ist Sam?", stieß Brejahna hervor. Beduine zeigte mit
dem Zeigefinger in die Luft. "
Riecht man es nicht? Er kocht!", scherzte sie und alle lachten mit.
Beduine stürzte in die Küche, tatsächlich zog ein leichter
Schleier von verbranntem Essen durch die Räume. Brejahna, Zoey und
Julie folgten ihr. Sie bestaunten die mahagonifarbenen hölzernen
Möbel mit ihren verschnörkelten Beinen oder geschmückten
Vorderseiten. Ein schmaler Gang führte sie in die Küche. "
Schatz, lass mich nur machen." Sie nahm ihm den Kochlöffel
und die Topflappen aus der Hand und fingerte an einer der Pfannen
herum. Sam wandte sich den Besuchern zu. "
Hallo Brejahna, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.", sagte
er freundlich und hielt verlegen inne als er die Dummheit seiner
Worte bemerkte. "
Schon gut Sam, mach dir nichts daraus. Ich bin auch froh, dass
ich wieder unter den Lebenden weile." Beide umarmten sich. Dann
kam er auf die Zwillinge zu. Sein blonder Schopf fiel ihm leicht ins
Gesicht und er streifte eine Haarsträhne mit einer Handbewegung
wieder zurück. Julie fielen die schmale Nase und der perfekte Schwung
seiner Augenbrauen auf, die ihre Ähnlichkeit mit Isabelle verrieten. "
Ihr seid also Zoey und Julie. Kommt her, lasst euch umarmen." Mit
diesen Worten schloss er beide Frauen gleichzeitig in seine Arme, sie
konnten die Kraft seiner Muskeln spüren und der Geruch nach Rosmarin
stieß ihnen wieder in die Nase. Sie fühlten sich so geborgen
in dieser Familie und waren glücklich ihre Verwandten kennen lernen
zu d ürfen.
Wenig
später saßen alle um den gedeckten Tisch im Speisezimmer.
Beduine hatte es doch noch geschafft das Essen zu retten und so speisten
sie Kartoffelgratin mit Broccoli und herrlich gebratenem Steak. Sie saßen
noch lange beieinander, während Zara und Carolina sich in den Garten
verdrückt hatten.
Julie fühlte sich durch ihre Verwandten an ihre Kindheit zurück
erinnert, sie hatte jeden Abend mit ihren Pflegeeltern und deren Sohn
Michael zu Abend gegessen, an ebenso einem großen rechteckigem
Tisch, mit dieser weißen Spitzendecke darüber, an dem sie
alle Probleme der Familie diskutierten oder heiter miteinander lachten.
Michael war drei Jahre jünger als sie und hatte dieselben blonden
Haare, wie sein Vater und die kristallblauen Augen seiner Mutter. Sie
war sich immer nicht recht zugehörig vorgekommen, getraute sich
jedoch nicht sie darauf anzusprechen. Sie hatten sie als kleines Baby
adoptiert, das wusste sie jetzt und sie auf den Namen Melinda getauft.
Wahrscheinlich hatte ihnen dieses kleine Baby ohne Namen, mit den grünen
Augen und dem roten Flaum auf dem Kopf leid getan und sich so entschlossen,
es groß zu ziehen und ihr die Liebe zu geben, die sie auch ihren
eigenen Kindern geben würden. Doch schon drei Jahre später
stellte sich Nachwuchs bei den Travers ein und wie in vielen anderen
Familien wurde dem Jüngsten die meiste Beachtung geschenkt. Doch
damit hatte sie Julie zeitig abgefunden, sie versuchte statt dessen mehr
Beachtung in der Schule zu finden in dem sie gierig allerlei Wissen in
sich aufnahm. Viele Freunde hatte sie nie gefunden, da man sie als Streberin
abstempelte und so wenig wie möglich mit ihr zu tun haben wollte.
Schlimmer noch, manche fanden es lustig sie wegen ihrer zwei geflochtenen
Zöpfe, die ihre Mutter ihr jeden Morgen machte, zu hänseln.
Doch diese Kinder ließ sie selten an sich heran, denn sie wusste,
dass sie nur neidisch auf ihr Wissen waren, jedenfalls hatte sie sich
das immer eingeredet. Über ihre Kindheit konnte sie sich eigentlich
nicht beschweren, ihre Eltern hatten stets zu ihr gehalten und die Lehrer
lobten sie in den Himmel, dabei war sie ein einfaches Mädchen, das
zischende Blitze zur Erde schickte, wenn sie wütend war, doch das
ahnte sie nicht, Julie hätte nie im Leben gedacht, dass sie das
bewirkte. Als sie älter wurde, verdrängte sie, dass in ihrer
Kindheit Tiere zu ihr gesprochen hatten. Irgendwann dachte sie, es wären
Kinder, die ihr einen Streich zu spielen versuchten. Als sie eine Lehre
bei einer Anwaltskanzlei begann zog sie schließlich zu Hause aus,
in das zweihundert Kilometer entfernte Klimok nahe Springfield. Von da
an, begann ihr Leben als gut bezahlte Anwaltsgehilfin für eine der
bekanntesten Kanzleien der Umgebung. Jetzt war sie so glücklich
sich einer richtigen Familie zugehörig zu fühlen, die ihr dieselbe
Liebe entgegen brachte, wie sie ihnen. " Was führt euch eigentlich zu uns?", bohrte Beduine ihre
kleine Schwester. "Seid ihr nur wegen dem guten Essen gekommen?".
Beide lachten. "
Eigentlich", begann Brejahna, "sind wir meiner Töchter
wegen gekommen. Es ist nicht gerade einfach sie über die Hüter
aufzuklären. Ich dachte das kann man an einem Beispiel besser.",
scherzte sie und Beduine gab ein lautes Gekicher von sich, auch
Sam schmunzelte. Er wandte sich den beiden Zwillingen zu. " Was wollt ihr denn wissen?" "
Ich glaube nicht, dass wir nur einem Hüter vorbestimmt sind.",
sprudelte es aus Zoey heraus. "
Ah, du hast einen Freund. Richtig?", stellte Beduine fest. " Ja, das stimmt." "
Zoey, mir ging es damals genau wie dir jetzt.", begann ihre Tante, "ich
wollte das Schicksal meiner Familie auch nicht wahr haben, aber als Sam
in mein Leben getreten war, hatte ich nur noch Augen für ihn. Deine
Gefühle spielen dann verrückt und du kannst nichts dagegen
machen." " Das kann ich einfach nicht glauben." "
Eine Marron und ein normaler Mensch passen einfach nicht zusammen.
Ein Mensch würde niemals die Komplexität ihre Kräfte verstehen,
er kann sie nicht ausfüllen, irgendwann würde es dir langweilig
werden mit ihm.", sagte Sam besänftigend. "Deine Schwester
weiß um die Gefühle.", setzte er hinzu. Erschrocken blickte
Julie auf. "
Woher weißt du davon?", sagte sie zaghaft. "
Nun, auch in bin ein Hüter und ich erkenne so etwas. "
Warum kann er nicht auf der Erde bleiben?", wollte Julie wissen. " Das ist nicht leicht zu beantworten. Er darf offiziell erst wieder
zu dir kommen, wenn dein Baby geboren wurde. So lauten die Regeln." "
Das sind dumme Regeln.", warf sie zurück. "
Ich weiß. Es ist eine harte Zeit, aber ich bin mir sicher, dass
er an dich denkt. Im Übrigen tut es mir leid um Jack." Er wandte
sich seiner Schwägerin zu. Beduine reichte Brejahna die Hand, um
ihre Anteilnahme zu zeigen. "
Wer ist Jack?", fragte Zoey überrascht. "
Das ist eine Geschichte, die wir ein anderes Mal erörtern.",
winkte ihre Mutter sanft ab. Beduine und Sam wechselten fragende
Blicke, vermieden es aber dieses Thema noch einmal an zu schneiden.
Es
war bereits dunkel, spärliches Mondlicht huschte durch die Jalousie
in das Zimmer und malte sanfte Linien auf den dunklen Fußboden.
Eine flackernde Kerze in der Mitte des Raumes, warf einen schwachen Lichtschein
auf die Gesichter der Mädchen, die um sie saßen, wie um ein
großes Lagerfeuer. Isabelles, Carolinas, Zoeys und Julies Gesichtszüge
wurden vom kargen Schein erhellt. Die vier Frauen hockten im Schneidersitz
da, die Ellenbogen auf die Knie gelehnt und sprachen über die normalen
Dinge ihres Hexenlebens. "
Wisst ihr, was ich gern tun würde?", flüsterte Isabelle
geheimnisvoll, "Ich möchte manchmal die Zeit anhalten und dann
in die Umkleidekabinen der Männer schlunzen, vor allem wenn Davie
Morgan drin steht." "
Davie Morgan ist der Schwarm meiner Schwester.", erklärte Carolina
nachdem die Zwillingsschwestern sie fragend anstarrten. "
Aber natürlich dürfen wir so etwas ja nicht.", fuhr Isabelle
sarkastisch fort. "
Warum nicht?" forschte Zoey. "
Die Etikette. Es gibt Dinge, die gehören sich einfach nicht für
eine Hexe.", ahmte Carolina ihre Mutter nach. Die Mädchen lachten. "Habt
ihr schon mal solche Sachen gemacht?" "
Nein, noch nicht.", antwortete Julie verärgert, "Aber
das holen wir nach, nicht wahr Schwesterherz?"
Zoey lächelte sie hinterlistig an. "Aber natürlich." "
Julie erzähl mal, wie ist es mit einem Hüter, ist er etwas
Besonderes, so wie Mum immer sagt?" Carolina blickte Julie wissbegierig
an, ihre Augen waren in Dunkelheit getaucht von dem schwarzen Schatten,
der auf ihre rechte Gesichtshälfte fiel, als sie ihren Kopf ihr
zuwandte. Julie fingerte an ihrem Hosensaum herum und warf ihren
Blick zu Boden. "
Ja, es war wunderschön, doch ich wünschte ich hätte ihn
nie kennen gelernt. Ich wünschte... . Carolina bedeckte mit einer
Hand erschrocken Julies Lippen. "
Das darfst du niemals aussprechen. Wusstet ihr nicht, dass wenn
ein Wunsch dreimal ausgesprochen wird, er dann in Erfüllung geht?" "
Wie meinst du das?", fragte Zoey. Isabelle hob den Zeigefinger in
die Luft als kündigte sie etwas Wichtiges an. Sie schloss die Augen
und setzte sich aufrecht hin. "
Ich wünsche mir die Sterne am Himmel zu sehen, ich wünsche
mir die Sterne am Himmel zu sehen, ich wünsche mir die Sterne am
Himmel zu sehen." Die kleine Kerze, die schon fast bis auf den Stummel
herunter gebrannt war, erlosch. "
Prima, nun sitzen wir im Dunkeln.", stieß Zoey aus. "
Seht nach oben." Alle hoben ihren Kopf in Richtung Zimmerdecke.
Beinah hätte es den Schwestern den Atem verschlagen. Sie konnten
den Himmel sehen, direkt an der Decke, als gäbe es kein Dach mehr.
Der Mond beleuchtete sanft ihre gespannten Gesichter, sie hörten
das Zirpen einer Grille. Der Wind fuhr um ihre Körper und ließ sie
frösteln. Eine Sternschnuppe löste sich von dem Himmelsgewölbe
und kam auf sie zu, verschwand jedoch kurz darauf wieder. "
Kinder, macht nicht mehr so lange, es ist schon nach zwei." Beduine
klopfte an die Tür. "
Ja, Mama.", rief Carolina und plötzlich konnten sie nur noch
die weiße Farbe der Zimmerdecke erspähen, deren Fläche
von der Kerze erhellt wurde.
Sie lagen alle in ihren Betten. Julie konnte
sie atmen hören, sie
schlug die Augen auf. Carolinas Worte hallten in ihrem Kopf. "
Ich wünschte ich wäre Max nie begegnet…", flüsterte
sie dreimal leise nacheinander. Dann schloss sie die Augen und
fiel in einen tiefen Schlaf.
Fortsetzung folgt |
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