|
|
|
|
klassische
autoren - theodor storm [ 1817 - 1888 ].
Von Kindern und Katzen, und wie sie die Nine begruben
Mit Katzen ist es in früherer Zeit in unserm Hause sehr "begänge" gewesen.
Noch vor meiner Hochzeit wurde mir von einem alten Hofbesitzer ein
kleines kaninchenblaues Kätzchen ins Haus gebracht; er nahm
es sorgsam aus seinem zusammengeknüpften Schnupftuch, setzte
es vor mir auf den Tisch und sagte: "Da bring' ich dir was zur
Aussteuer!"
Diese Katze, welche einen weißen Kragen und vier weiße
Pfötchen hatte, hieß die "Manschettenmietze".
Während ihrer Kindheit hatte ich sie oft, wenn ich arbeitete,
vorn in meinem Schlafrock sitzen, so dass nur der kleine hübsche
Kopf hervorguckte. Höchst aufmerksam folgten ihre Augen meiner
schreibenden Feder, die bei dem melodischen Spinnerlied des Kätzchens
gar munter hin und wieder glitt. Oftmals, als wolle sie meinen gar
zu großen Eifer zügeln, streckte sie auch wohl das Pfötchen
aus und hielt die Feder an, was mich dann stets bedenklich machte
und wodurch mancher Gedankenstrich in meine nachher gedruckten Schriften
gekommen ist.
Die Manschettenmietze selber ist, wie ich fürchte, durch diesen
Verkehr etwas gar zu gebildet geworden; denn da sie endlich groß und
dann auch Mutter manches allerliebsten kaninchengrauen Kätzchens
geworden war, verlangte sie, gleich den feinen Damen, allzeit eine
Amme für ihre Kinder; und da die Nachbarskatzen sich nur selten
zu diesem Dienst verstehen wollten, so sind fast alle ihre kleinen
Ebenbilder elendiglich zugrunde gegangen. Nur einen kleinen weißen
Kater zog sie wirklich groß, welcher wegen seines grimmigen
Aussehens "der weiße Bär" genannt wurde und
nachher aber eine Katze war.
Später, da schon zwei kleine Buben luftig durch Haus und Garten
tobten, waren drei Katzen in der Wirtschaft; nämlich außer
den vorbenannten noch ein Sohn des weißen Bären, genannt "der
schwarze Kater", ein großer ungebärdiger Geselle;
vielleicht ein Held, aber jedenfalls ein Scheusal, von dem nicht
viel zu sagen, als dass er, besonders in der schönen Frühlingszeit,
unter schauderhaftem Geheul gegen alle Nachbarskater zu Felder lag,
dass er stets mit einem blutigen Auge und zerfetztem Fell umherlief
und außerdem noch seine kleinen Herren biß und kratzte.
Von der Großmutter, der Manschettenmieze, die nochmals ganz
berühmt geworden ist, wäre noch vielerlei zu berichten;
da sie aber in der Geschichte, die ich hier am Schluß erzählen
will, nur ein einzigmal "Miau" zu sagen hat, so soll's
für eine schicklichere Gelegenheit verspart sein.
Es geschah aber, dass unser mit drei Katzen also stattlich begründetes
Heimwesen durch den hereingebrochenen Dänenkrieg gar jämmerlich
zugrunde ging; meine beiden Knaben und noch ein kleiner dritter,
der hinzugekommen war, mussten mit mir und ihrer Mutter in die Fremde
wandern, und so gastlich man uns draußen aufnahm, es war doch
in den ersten Jahren eine trübe katzenlose Zeit.
Zwar hatten wir Kindermädchen, welches Anna hieß; ihr
gutes rundes Gesicht sah allzeit aus, als wäre sie eben vom
Torfabladen hergekommen, weshalb die Kinder sie die "schwarze
Anna" nannten; aber eine Katze in unser gemietetes Haus zu nehmen,
konnten wir noch immer nicht den Mut gewinnen. Da - drei Jahre waren
so vergangen - kam von selber eine zugelaufen, ein weiß und
schwarz geflecktes Tierchen, schon wohlerzogen und von anschmiegsamer
Gemütsart.
Was ist von diesem Käterchen zu sagen? - Zum mindesten der Pyramidenritt.
Da nämlich den beiden größeren Buben das gewöhnliche
Zeitgeschehen doch gar zu simpel war, so hatten sie's erfunden, auf
der schwarzen Anne zu Bett zu reiten; derart, dass sie dabei auf
ihrer Schulter saßen und die kleinen Kinderbeinchen vorn herunterbaumelten.
Jetzt aber wurde das um vieles stattlicher; denn eines Abends, da
sich die Tür der Schlafkammer öffnete, kam in das Wohnzimmer
zum Gutenachtsagen eine vollständige Pyramide hereingeritten; über
dem großen Kopf der schwarzen Anne der kleiner des lachenden
Jungen, über diesem dann der noch viel kleinere Kopf der Käterchens,
das sich ruhig bei den Vorderpfötchen halten und dabei ein gar
behaglich und vernehmbares Spinnen ausgehen ließ. - Dreimal
ritt diese Pyramide die Runde in der Stube und dann zu Bett.
Es war sehr hübsch; aber es wurde der Tod des kleinen Katers.
Die guten Stunden, die er nach solchem Ritt zur Belohnung im Federbett
bei seinem jungen Freunde zubringen durfte, hatten ihn so verwöhnt,
dass er eines scharfen Wintermorgens, da er am Abend ausgeschlossen
worden, tot und steifgefroren im Waschhause aufgefunden wurde.
Und wieder kam eine stille, katzenlose Zeit.
Aber wo fände sich nicht eine Aushilfe! Ich konnte ja vortrefflich
Katzen zeichnen; - und ich zeichnete! Freilich nur mit Feder und
Tinte; aber sie wurden ausgeschnitten und aus dem Tuschkasten sauber
angemalt: Katzen von allen Farben und Arten, sitzende und springende,
auf vieren und auf zweien gehend, Katzen mit einer Maus im Maule
und einem Milchtopf in der Pfote, Katzen mit Kätzchen auf dem
Arme und einem bunten Vöglein in der Tatze; den Preis über
alle aber gewann ein würdig blickender grauer Kater mit rauem,
bärtigem Antlitz. Ihm wurde in einer Kammer, wo die Kinder spielten,
aus Bauholz ein eigenes Haus mit Wohn- und Staatsgemächern aufgebaut.
Viel Zeit und Mühe war darauf verwandt worden; deshalb erhielt
es aber auch das Vorrecht, vor dem zerstörenden Eulbesen der
Köchin durch strenges Verbot geschützt zu werden. Es hieß "das
Hotel zur schwarzen Anna"; und "der alte Herr", welchen
Namen der Graue sich gar bald erworben hatte, hat lange darin gewohnt.
Selten nur veließ er seine angenehmen Räume; desto lieber,
da es ihm an Dienerschaft nicht fehlte, sammelte er bei sich die
Gesellschaft feiner Freunde und Freundinnen. Dann ging es hoch her;
wir haben oft durchs Fenster eingeguckt. Fetter Rahm in Tassenschälchen,
Bratwürstchen und gebratene Lerchen wurden immer aufgetragen;
den Ehrenplatz zur Rechten des Gastgebers aber hatte allzeit ein
allerliebstes weißes Kätzchen mit einem roten Bändchen
um den Hals; ob es eine Verwandte oder gar die Tochter desselben
gewesen, haben wir nicht erfahren können.
Außer solchen Festen lebte übrigens der alte Herr still
für sich weg; nur manchmal liebte er es, aus seinem Hause auf
die Spiele der Kinder in der Kammer hinabzublicken, wozu er die bequemste
Gelegenheit hatte, da das Hotel "Zur schwarzen Anna" auf
einer Fensterbank erbaut war. Dann stieß wohl eines der Kinder
das andre an und flüsterte: "Seht, seht! Der alte Herr
steht wieder einmal am Fenster!"
Auch seinem Geburtstag sollte er noch erleben. Zu diesem Feste, an
welchem alle Kater und Katzen sich zur Gratulation versammeln sollten,
bekam ich den Auftrag, sein Brustbild in Lebensgröße zu
malen, was dann auch wirklich am Morgen des Festtages, in einen breiten
Goldrahmen gefasst, im Saale des Hotels aufgehangen wurde.
Aber es nimmt alles einmal ein Ende. - Da wir eines Morgens aufgestanden
waren, fanden wir ihn tot in seinem Bette. Ob er bei dem letzten
leckeren Mahle sich zuviel getan, ob die ihm zugemessene Lebensdauer
abgelaufen war; - so viel steht fest, was wir hier vor uns sahen,
war nur noch seine entseelte Hülle.
Also wurde ein Schächtelchen mit schwarzem Papier beklebt und
aufgeschlagen und so ein Sarg daraus gemacht. Der alte Herr wurde
hineingelegt und stand zu Parade in dem großen Saale des Hotels,
wo von der Wand sein noch in aller Lebensfülle gemaltes Bildnis
auf den Sarg herabsah.
Endlich wurde er auf dem Steinhofe - ach, einen Garten hatten wir
da draußen nicht! - in das für ihn gegrabene Grab gesenkt
und mit einem schweren Steine fest und dauerhaft bedeckt.
- - Aber wer möchte nicht gern wissen, wie die Toten aussehen.
- Natürlich wurde der alten Herr nach einem halben Jahre wieder
ausgegraben, sehr mit Schimmel überzogen vorgefunden, schaudernd
und ganz genau betrachtet und dann endlich noch einmal und auch zum
allerletztenmal begraben.
Für Kinder und alte Leute, welch ein erlösender Zauber
liegt in dem Begraben!
In der Heimat zur Zeit der Manschettenmietze, als die zwei ältesten
Knaben ihre ersten Kittel noch nicht ausgetragen hatten, als sie
für den großen Garten, der am Hause war, mit eigenem "Schmierzeug" noch
versehen waren - in jener glücklichen Zeit gab es außer
Katzen auch noch andres Getier im Hause. Da war ein kleiner weißer
Pudel, welcher "Bube" hieß, aber leider trotz des
Tierarztes schon früh an einer Hunde-Kinderkrankheit sterben
musste; dann war ein weißes Kaninchen, welches "Nine" hieß,
und außerdem noch eine weiße Taube, welche keinen Namen
hatte, sonst aber sehr wohl "Federlos" hätte heißen
können.
In dem geräumigen Taubenschlage auf dem Hausboden hatte sie
einst mit vielen schönen Gefährten, Hahnenschwänzen
und Mohrenköpfen, gewohnt und sich von dort aus lustig mit ihnen über
den grünen Gärten in der Luft getummelt; aber eines Nachts
war der Marder eingebrochen, und sie allein blieb die Überlebende.
Damit sie in dem großen leeren Schlage nicht allzu sehr die
Einsamkeit empfinde, wurde das Kaninchen ihr zum Gesellen beigegeben,
und da weder dieses von ihren Erbsen, noch sie die Hundeblumenblätter
des Kaninchens begehrte, so lebten sie wie Geschwister einträchtiglich
beisammen. Wenn die Taube von ihren Ausflügen heimkam, klappte
Nine allzeit freudig mit den Hinterläufen; denn sie spielten
dann Greif oder Haschemännchen miteinander, und da das Kaninchen
sehr gut greifen konnte, so geschah es dabei ganz von selber, dass
es seiner Freundin einen Mund voll Federn nach dem andern abbiß.
- So wurde sie das Täubchen "Federlos" und konnte
nur noch mit den Posen fliegen.
Aber weiter kam es nicht; die Posen sollte sie beibehalten. Denn
da die Knaben eines Morgens in den Schlag hinanstiegen, flatterte
das Täubchen Federlos zwar noch um sie herum, Nine aber lag
mit ausgestreckten Vieren tot und platt am Boden.
Eilig stürmten sie die Treppe hinab und verkündeten im
Wohnzimmer ihre Trauerkunde, wo ich ahnungslos bei meiner Tasse Tee
saß.
Wahrscheinlich hatte Nine sich an den Taubenfedern tot gegessen;
indessen ich bedachte solches nicht und sagte ohne viele Umstände: "Da
habt ihr's wohl verhungern lassen!"
Ob das Gewissen der beiden dennoch nicht ganz rein gewesen? - Aber
- hilf Himmel! Wie huben auf dieses Wort die kleinen Kerle an zu
schreien! Kein Trost, kein Zuspruch half, die Tränen liefen
ihnen stromweis übe die Backen.
Da traf mein Freund, der Doktor - der als Primaner einst so schön
die Klarinette spielte - in die Tür. "Hallo! Jungens, was
ist da los?"
Die Augen wandten sich zu dem Sprecher, und einen Augenblick lang
stockte das Geheul. "Doktor," rief der eine im wehmütigsten
Klagelaut, "unser Nine ist tot!"
"
Und wir haben es verhungern lassen!" schrie der andere. - Dann
heulten sie beide wieder mit vereinten Kräften.
"
Jungens!" rief der Doktor. "Euer Nine wird nicht mehr lebendig!
Aber wisst ihr denn das nicht? Wenn es tot ist, so müsst ihr
es begraben!"
B e g r a b e n! - Das Zauberwort war gesprochen. Das Geschrei verstummte,
die Tränen wurden abgewischt, ein wahres Sonnenleuchten verklärte
die Gesichter der beiden Kinder. Schon waren sie aus dem Zimmer und
die Bodentreppe hinauf; und nicht lange, so kamen sie fröhlichen
Angesichts mit dem Leichnam ihres Nine angezogen; der eine hatte
es an den Ohren, der andere an den Hinterläufen. So zogen wir
mitsammen in den Garten hinaus.
Als wir auf dem großen Steige waren, begegnete uns die Manschettenmieze. "Miau!" sagte
sie indem sie stehenblieb und uns ansah.
Der Zug hielt; und die Kinder sahen sie wieder an- "Mite," sagte
der Kleine, noch einmal in seinen Klageton verfallend, "unser
Nine ist tot!"
Dann setzte der Zug sich wieder in Bewegung, und Mite machte einen
Buckel und sprang mit, um dem Begräbnis beizuwohnen.
Der Doktor hatte schon den Spaten in der Hand, und an der Geißblattlaube
unter überhängenden Ulmenzweigen wurde nach reiflicher
Erwägung die Stätte auserwählt. Da wurde ich von der
Magd ins Haus zurückgerufen und überließ dem Doktor
allein die Leitung unserer Trauerfeierlichkeit.
Drinnen im Hause erwarteten mich ganz andere Dinge. Da war ein Mann,
der hatte einen bösen Schuldner, von dem er weder Kapital noch
Zinsen erhalten konnte, und wir sprachen wohl eine halbe Stunde miteinander,
auf welche Weise ihm zu beiden zu verhelfen sei.
Als ich dann wieder in den Garten hinauskam, war der Doktor nicht
mehr da; auch der Körper des verstorbenen Nine war verschwunden,
und der Spaten lehnte an der Planke. Die beiden kleinen Totengräber
aber - die natürlich ihr Schmierzeug anhatten - lagen neben
der Geißblattlaube auf den Knien und hatten einen kleinen seltsam
glänzenden Erdhügel zwischen sich, auf dem sie beide eifrig
mit ihren rotkarierten Taschentüchern rieben.
"
Was macht ihr da?" fragte ich, indem ich zu ihnen trat; denn
die sache war mir völlig unverständlich.
Da guckte der Kleine auf. "Papa!" sagte er, und sein Gesicht
leuchtete fröhlich wie droben kaum die liebe Himmelssonne, - "wir
polieren Nine sein Grab mit Spucke!"
- - Und also endete die vergnügliche Begräbnis. |
|
|
|
|
|
|
|
|
zurück |
|
|
|
|